Wie hängen Schlafapnoe und Tinnitus miteinander zusammen?

18. Mai 2020
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Wie hängen Schlafapnoe und Tinnitus miteinander zusammen?

Die Auswertung von über 400 Patientenfragebögen der MEOCLINIC zeigte, dass etwa 9,8% der Schlafapnoe Betroffenen auch unter Tinnitus (akut oder chronisch) leiden. Es stellt sich die Frage ob dies purer Zufall ist, oder ob es zwischen beiden Krankheitsbildern einen kausalen Zusammenhang gibt. Zunächst lohnt ein Blick auf die Prävalenz (Häufigkeit) des Tinnitus in Deutschland: Epidemiologische Studien zeigen eine Häufigkeit von ca. 3,9%. Etwa 250.000 Menschen erkranken in Deutschland jedes Jahr neu an chronischem Tinnitus. Dabei sind Männer deutlich häufiger betroffen als Frauen. Die höhere Prävalenz von Tinnitus bei Schlafapnoikern im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung lässt also die Vermutung zu, dass eine Kausalität besteht.

Tinnitus als multi-kausales Syndrom

Beim Tinnitus nehmen Betroffene Geräusche wahr, denen keine äußere Schallquelle zugrunde liegt. Aus diesem Grund lässt sich das Phänomen auch als Phantomgeräusch bezeichnen. Diese auditiven Eindrücke werden als Brumm- und Pfeifton, Klingeln, Rauschen, Zischen, Klopfen oder Knacken beschrieben. Das Ohrgeräusch kann hinsichtlich der Intensität gleichbleiben, aber auch einen schwankenden oder gar pulsierenden Charakter aufweisen.  Die Ursachen dieser Hörfunktionsstörung sind äußerst vielfältig. Meist wird Tinnitus als Stresserkrankung charakterisiert. Darüber hinaus werden Lärmschwerhörigkeit, Knall- oder Schalltrauma, Hörsturz, Tauchunfälle oder Medikamente, die das Innenohr schädigen, als mögliche Auslöser genannt.

Ohrgeräusche durch eine fehlerhafte Kaufunktion

Nicht selten liegt den permanenten Ohrgeräuschen eine Fehlfunktion des craniomandibulären Systems zugrunde. Die Craniomandibuläre Dysfunktion, kurz CMD, beschreibt das gestörte Zusammenspiel von Ober- und Unterkiefer mit ihren verbindenden Kiefergelenken. Dies kann bei den Betroffenen zur Anspannung ihrer Kaumuskeln beim Essen führen, aber auch zu nächtlichem Knirschen und Pressen mit den Zähnen. Die Folgen sind meist schmerzhaft und verursachen Kopfschmerzen, Schwindelgefühle, Lichtempfindlichkeit und Stress im Alltag. Die zugrundeliegende Diagnose lautet dann entweder Störung der Kaumuskulatur (Myopathie), Störung des Kiefergelenks (Arthropathie) oder Störung der Kauflächen (Okklusopathie).

Wie kann eine Craniomandibuläre Dysfunktion zum Tinnitus führen?

Diese vermeintlich simple Frage ist alles andere als einfach zu beantworten. Gut untersucht sind die intensiven Verbindungen zwischen den Funktionen des Mund- und Kieferbereichs und der oberen Halswirbelsäule. Durch anatomische Studien der letzten 20 Jahre wurde bewiesen, dass es zwischen der Kau- und der Halswirbelsäulenfunktion eine sehr enge Verzahnung gibt, die man auch Konvergenz nennt (siehe Abbildung 1). Auch die Funktionen zwischen den Nerven des Kopf-Kiefersystems, (das craniomandibuläre System) den Hörnerven und dem Gleichgewichtssystem sind relativ gut erforscht. Insbesondere die Wissenschaftlerin Dr. Susan Shore von der Universität von Michigan zeigte durch ihre Studien welche Verbindungen zwischen dem wichtigsten Nerv des Kausystems, dem Drillingsnerv des Gesichts (Trigeminus) und dem Stammhirn-Kern der Hörbahn, welche die akustischen Informationen ins Gehirn leitet, bestehen.

Konvergenzreaktionen im Hirnstamm Klein

Diese sogenannten Verschaltungen von Informationen im Stammhirn stellen die Folge eines evolutionären Entwicklungsprozesses dar. Sie dienen überwiegend besonderen Schutzreaktionen. Die Hypothese lautet, dass es dem Gehirn des Urmenschen im Alltag ermöglicht werden musste, die damals omnipräsenten Kaugeräusche von Pflanzenfressern von den Geräuschen eines herannahenden Feindes zu differenzieren. Bildlich gesprochen musste der angreifende Tiger trotz des Hungers gehört werden. Jetzt aber führt die Fehlermeldung aus dem Kauorgan zu einer akustischen Fehlinterpretation – einem Tinnitus.

Was hat die Craniomandibuläre Dysfunktion mit Schlafapnoe zu tun?

Die obstruktive oder gemischte Form der Schlafapnoe wird überaus häufig bei Patienten mit CMD diagnostiziert. Warum ist das so? Die Cranio (vom Lateinischen „cranium“: Schädel) Mandibuläre (Unterkiefer) Dysfunktion definiert eine Störung zwischen dem Schädel (inklusive Oberkiefer) und dem Unterkiefer. Die Hauptursache hierfür ist eine Kieferfehlstellung bzw. eine suboptimale Stellung der Kiefer zueinander. Der Oberkiefer ist in Relation zum Unterkiefer entweder zu groß, zu klein oder zu schmal. Vereinfacht gesagt passt der Oberkiefer nicht zum Unterkiefer. Hierbei verursacht ein kleiner oder zu weit zurückliegender Kiefer (egal ob Ober- oder Unterkiefer) zwangsläufig eine Verengung (Obstruktion) der oberen Atemwege. Diese Obstruktion der oberen Atemwege, die meist durch einen nicht ausreichenden Abstand zwischen Zungengrund und Rachenhinterwand gekennzeichnet ist, führt zu den gefürchteten nächtlichen Atemaussetzern (Apnoen) und Atemflussreduzierungen (Hypopnoen). Auslösender Faktor ist hierbei der Kollaps der Atem- und Rachenmuskulatur im Schlaf. Das Erschlaffen und Zurückfallen von Weichgeweben (Zunge, Gaumensegel etc.) führen dann zur Behinderung oder Blockade der Atmung.

Erfolgreiche Behandlung der Kaufunktion lindert Tinnitus

Tinnitus zählt wie beschrieben zu den möglichen typischen CMD-Symptomen. Es ist deshalb naheliegend eine erfolgreiche Behandlung der Kaufunktionsstörung anzustreben, um gleichzeitig eine Linderung der Tinnitusbelastung zu erreichen. Eine im Jahr 2006 veröffentlichte schwedische Studie belegte nicht nur, dass CMD-Patienten überdurchschnittlich häufig unter Tinnitus leiden, sondern zeigte auch, dass eine erfolgreiche CMD-Therapie zu einer statistisch signifikanten Linderung des Tinnitus führt. In der Studie beantworteten 73 Patienten 2 Jahre nach einer erfolgreich abgeschlossenen CMD-Behandlung jeweils einen Fragebogen hinsichtlich ihrer Tinnitus Symptomatik. Eine Linderung ihres Tinnitus gaben 43% der Patienten an, während 39% von gleichbleibenden Symptomen berichteten. Als Kontrollgruppe dienten 50 Patienten mit Tinnitus, die auf der Warteliste für eine CMD-Therapie standen. In der Kontrollgruppe gaben lediglich 12% der Probanden an, dass sich ihr Tinnitus im Vergleich zu 2 Jahren zuvor verbessert hatte. Eine unveränderte Situation beschrieben hingegen 32% der Patienten. Es zeigte sich also, dass eine Beseitigung der funktionellen Störung im Kausystem eine gute Wirkung auf den Tinnitus hat.

Erweiterung der oberen Atemwege kann nicht nur Tinnitus lindern

Eine Obstruktion (= Verengung) der oberen Atemwege, die durch eine Kieferfehlstellung verursacht wird, kann durch die ursachenbezogene Therapie mittels Kieferumstellungsosteotomie mit Counter Clockwise Rotation dauerhaft beseitigt werden. Kombiniert man diese Operation mit einer kieferorthopädischen Behandlung erreicht man die Behebung der Atemfunktionsstörung (Heilung der Schlafapnoe) und gleichzeitig die Wiederherstellung des physiologischen Bisses. Dies kann sich dann auch – wie die schwedische Studie zeigt – positiv auf den Tinnitus auswirken. Darüber hinaus führt die operative Atemwegserweiterung insbesondere zu einer deutlichen Reduzierung der durch die Schlafapnoe verursachten überhöhten Risikofaktoren für Herzinfarkt oder Schlaganfall.