Was ist von der neuartigen Hypoglossus-Stimulationstherapie „GENIO“ zu halten?

12. März 2021
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Für Schlafapnoe Patienten, die Schwierigkeiten mit der Überdruckbeatmungstherapie (CPAP-Therapie) haben, gibt es seit Anfang 2020 ein neues Therapiesystem: Ein Neurostimulator namens „GENIO“ der belgischen Firma Nyxoah S.A. baut auf dem mittlerweile seit mehr als 20 Jahren im Einsatz befindlichen Zungenschrittmachersystem auf. Neu ist bei „GENIO“, dass der Stimulator völlig ohne Batterie und Kabel auskommt. Die vom System ausgehende Stimulation des Zungenmuskelnervs wird dabei individuell auf den Schlafapnoe Patienten eingestellt.

Wie funktioniert die Hypoglossus-Stimulationstherapie „GENIO“?

Das „GENIO“-System besteht aus 3 Komponenten: einem zu implantierenden Stimulator und einem externen Aktivierungs-Chip, der fest an einem Einwegbefestigungspflaster angebracht wird. Der Stimulator wird im Rahmen einer maximal einstündigen minimalinvasiven Operation unter dem Kinn implantiert. Hierfür benötigt der Operateur lediglich einen einzigen kleinen Schnitt. Dieser ist nach etwa 6 Wochen wieder verheilt. Das kleine Implantat (ca. 20 x 2,5 mm) wird vom Chirurgen oberhalb des Kinn-Zungen-Muskels und nahe des Nervus hypoglossus (Zungenmuskelnerv) platziert.

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Die Elektroden des Neurostimulators werden dabei so positioniert, dass sie Kontakt mit beiden Ästen des Nervus hypoglossus haben. Somit wird dieser von zwei Seiten aus stimuliert. Die hierfür notwendige Energie wird drahtlos von einem externen Aktivierungs-Chip, in dem sich eine Batterie befindet, zur Verfügung gestellt. Der Aktivierungs-Chip wird vor dem Zubettgehen mittels eines Einwegbefestigungspflasters unter das Kinn geklebt. Der externe Chip startet die Stimulation, nachdem der Schlafapnoe Betroffene eingeschlafen ist. Die minimalen Stromimpulse des Implantats führen dazu, dass sich der hintere Teil der Zunge leicht nach vorne bewegt. Diese Vorwärtsbewegung der Zunge hält die oberen Atemwege im Schlaf offen und verhindert somit Apnoen (Atemstillstände) und Hypopnoen (Atemflussreduzierungen). Am nächsten Morgen wird der Aktivierungs-Chip einfach vom Einwegbefestigungspflaster abgezogen, welches anschließend entsorgt wird. Damit das Stimulationssystem für die nächste Nacht wieder einsatzbereit ist, wird die Batterie des Aktivierungs-Chips mittels eines speziellen Ladegeräts aufgeladen. Die Handhabung des Systems wird als sehr einfach und selbsterklärend beschrieben.

Wer kommt für die „GENIO“-Stimulationstherapie in Frage?

Laut Angaben von Nyxoah eignet sich „GENIO“ zur Therapie der mittel- bis schwergradigen obstruktiven Schlafapnoe. Der im Schlaflabor ermittelte Atemstörungsindex (AHI – Apnoe-Hypopnoe-Index) sollte zwischen 15 und maximal 65 liegen. Der Hersteller empfiehlt seinen Neurostimulator als Zweitlinientherapie, wenn der Betroffene die verordnete CPAP-Therapie nicht verträgt oder diese keine ausreichende Reduzierung der Schlafapnoe Symptome erreicht. Als Kontraindikation gilt ein vollständig konzentrischer Kollaps des weichen Gaumens während einer Schlafendoskopie, die vor einer Implantation durchzuführen ist. Der Schlafapnoiker darf zudem nicht über zu starkem Übergewicht leiden. Der Einsatz des Stimulationssystems ist nur bis zu einem Body-Mass-Index (BMI) von maximal 35 kg/m² möglich. Ein hierüber hinausgehendes Übergewicht würde verstärkte Fetteinlagerungen im Kinnbereich verursachen. Die Folge wäre ein zu großer Abstand zwischen dem Aktivierungs-Chip und dem Implantat, was zur Störung der Energieversorgung des Stimulators führen könnte.

Wie sieht die Studienlage zum „GENIO“-Stimulationssystem aus?

Eine erste von April 2017 bis Februar 2018 durchgeführte multizentrische klinische Studie untersuchte die Sicherheit und Wirksamkeit des neuartigen Neurostimulators. In insgesamt 7 Zentren in Frankreich und Australien wurde bei insgesamt 22 Schlafapnoe Patienten der „GENIO“-Stimulator implantiert. Die Ergebnisse dieser Studie wurden 2019 im European Respiratory Journal veröffentlicht. Die Patienten zeigten 6 Monate nach der Implantierung einen um durchschnittlich 45,6% reduzierten Atemstörungsindex (Rückgang des Apnoe-Hypopnoe-Index von durchschnittlich 23,7/h auf 12,9/h). Der Schweregrad der Schlafapnoe hatte sich also von mittel auf leicht abgeschwächt. Der ebenfalls gemessene Sauerstoff-Entsättigungsindex (ODI – oxygen desaturation index) hatte sich postoperativ um durchschnittlich 48,7% verringert. Legt man einen vergleichbaren Beobachtungszeitraum zugrunde, dann sind diese Wirksamkeitsergebnisse ungefähr mit den bereits am Markt befindlichen herkömmlichen Zungenschrittmachersystemen der Hersteller Inspire oder ImThera Medical vergleichbar.

Hohe Zufriedenheit der Studienteilnehmer bei gleichzeitig verbesserter Lebensqualität

Die Studie bewies auch, dass die innovative Stimulationstherapie insgesamt gut vertragen wurde. Im Studienverlauf zeigten sich keine schwerwiegenden produktbedingten Nebenwirkungen. Die Compliance (Therapietreue) der Studienteilnehmer war auf einem hohen Niveau: 91% der Probanden verwendeten den Neurostimulator in mehr als fünf Nächten pro Woche und 77% der Patienten berichteten sechs Monate nach Studienbeginn, dass sie das „GENIO“-System durchschnittlich länger als fünf Stunden pro Nacht verwendeten. Auch die Zufriedenheit der Teilnehmer war überdurchschnittlich, da 82% der Apnoiker angaben, dass sie mit dem neuen System zufrieden oder sogar sehr zufrieden sind. Dies konnte auch hinsichtlich der Verbesserung der Lebensqualität gezeigt werden: Die Tagesmüdigkeit, gemessen auf Basis des sogenannten Epworth Sleepiness Scale, (ein Fragebogen zur Erfassung der Tagesschläfrigkeit) hatte sich von 11,0 (vor Implantierung) auf 8,0 (zum Studienende) reduziert. Darüber hinaus verbesserte sich auch ein weiteres typisches Symptom der Schlafapnoe: Die Intensität des Schnarchens war deutlich vermindert. Der Prozentsatz der Bettpartner, die über lautes und zu starkes Schnarchen der Patienten klagten, ging von 96% (zu Beginn der Studie) auf 35% (6 Monate nach Implantierung des Stimulators) zurück.

Welche Vor- und Nachteile bietet die „GENIO“-Hypoglossus-Stimulation im Vergleich zu den bisherigen Systemen?

Im Vergleich zum herkömmlichen Zungenschrittmacher zeigen sich sehr deutliche Vorteile: Der technisch einfachere Aufbau des Neurostimulators (keine Kabel, keine Batterie) führt zu einer kürzeren Operations- und Narkosezeit. Gleichzeitig ist auch der chirurgische Eingriff zur Implantierung des „GENIO“-Systems wesentlich einfacher, was wiederum potenzielle Risiken der Operation minimiert. Das neuartige Stimulationssystem ist nicht nur kostengünstiger, als der bisher bekannte implantierbare Pulsgenerator, sondern auch besser für die Zukunft gerüstet. Das System von Nyxoah bietet innovative Möglichkeiten für nachträgliche Upgrades und Updates. Ohne erneute Operation können zusätzliche Funktionen dem System hinzugefügt werden. Der mit Abstand relevanteste Vorteil zeigt sich allerdings erst auf längere Sicht: Da das Implantat ohne eigene Stromquelle auskommt, entfallen die beim herkömmlichen Zungenschrittmacher notwendigen Operationen zur Auswechslung der Batterie. Die bisher üblichen Stimulationssysteme benötigen, je nach Intensität der Nutzung, durchschnittlich nach 6 bis 10 Jahren einen Batterietausch. Darüber hinaus stimuliert das „GENIO“-System sowohl den linken, als auch den rechten Ast des Zungenmuskelnervs. Diese beidseitige Stimulation führt zu einer symmetrischeren Vorwärtsbewegung der Zunge. Beim bisherigen Zungenschrittmacher wird der Hypoglossusnerv nur einseitig kontrahiert. Dies kann zu einer weniger gleichmäßigen Vorbewegung der Zunge führen. Dieser systembedingte Vorteil von „GENIO“ konnte sich jedoch bisher, im Vergleich zu den gewöhnlichen Nervenstimulationssystemen, nicht in besseren klinischen Wirksamkeitsdaten niederschlagen.

Die größten Nachteile des neuartigen Neurostimulators liegen in der zum jetzigen Zeitpunkt vergleichsweise schwachen Studienlage. Mit nur 22 Teilnehmern war die Wirksamkeitsstudie sehr klein und es wurden lediglich Probanden mit leichtem Übergewicht (durchschnittlicher Body-Mass-Index 27,4 kg/m²) und mittelgradiger Schlafapnoe (durchschnittlicher AHI 23,7/h) eingebunden. Es bleibt also offen, welche Effektivität das „GENIO“-System bei adipösen (fettleibigen) Patienten mit schwergradiger Schlafapnoe (AHI über 30/h) zeigen würde. Sehr geringfügige Komforteinbußen sind hinsichtlich der Stromversorgung der implantierten Stimulatoreinheit zu akzeptieren. Schließlich ist es notwendig den externen Aktivierungs-Chip täglich mittels eines Ladegeräts aufzuladen, damit dieser die drahtlose Energieversorgung des Implantats sicherstellen kann. Dieses tägliche Aufladen entfällt bei den eingeführten Zungenschrittmachersystemen. Deren implantierte und nicht wiederaufladbare Batterie versorgt den Schrittmacher für eine Dauer von etwa 6 bis 10 Jahren mit Strom. Darüber hinaus sind Bartträger zu einem gewissen Kompromiss gezwungen: Sie sollten nämlich ihr Kinn rasieren, bevor sie mit der „GENIO“-Therapie beginnen. Damit das Implantat und der Aktivierungs-Chip korrekt arbeiten können, muss der Aktivierungs-Chip mittels Einwegbefestigungspflaster fest im Bereich unterhalb des Kinns sitzen. Ein mögliches Verrutschen des Einwegbefestigungspflasters wird besser verhindert, wenn die Klebefläche frei von Barthaaren ist.

Fazit zur neuartigen Hypoglossus-Stimulationstherapie „GENIO“

Die Wirksamkeitsstudie hat gezeigt, dass „GENIO“ ein sicheres und wirksames System zur Stimulierung des Zungenmuskelnervs darstellt. Die Studie belegte eine signifikante Reduzierung des Schweregrades der Schlafapnoe bei gleichzeitiger Verbesserung der Tagesschläfrigkeit und der Lebensqualität. Das neuartige System bewies eine ungefähr vergleichbare Effektivität, wie sie bereits von den bestehenden Zungenschrittmachersystemen bekannt ist. Im direkten Vergleich zu den implantierbaren Pulsgeneratoren der Hersteller Inspire oder ImThera Medical zeigen sich jedoch für den Patienten sehr deutliche Vorteile, welche die wenigen Nachteile überwiegen. Der Patient profitiert von einer einfacheren und kürzeren Operation, geringeren Kosten und insbesondere zukünftig nicht mehr notwendigen Operationen zum Batterietausch. Es ist daher gut vorstellbar, dass der neuartige Neurostimulator von Nyxoah einen Paradigmenwechsel in der Hypoglossus-Stimulationstherapie einläuten kann. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass auch das „GENIO“-System lediglich ein Hilfsmittel zur symptomatischen Therapie der Schlafapnoe darstellt. Die Ursache der Schlafapnoe liegt schließlich überwiegend in einer zu starken Verengung der oberen Atemwege und nur sehr selten in einer übermäßig starken Kollapsibilität des Zungengrunds. Das Zurückrutschen der Zunge im Schlaf (Weichgewebekollaps) in den Rachenraum ist in der Regel der Trigger (Auslöser) für Apnoen und Hypopnoen, nicht jedoch die Ursache. Die Verengung der oberen Atemwege ist die Voraussetzung dafür, dass der stets im Schlaf einsetzende Weichteilgewebekollaps zur Blockade der Luftwege führt. Nur durch die operative Beseitigung der Atemwegsverengung mittels bimaxillären Advancement mit Counter Clockwise Rotation ist eine Heilung von der Schlafapnoe möglich. Diese Kausaltherapie verhindert die Abhängigkeit von einem Hilfsmittel und erreicht die permanente Erweiterung der oberen Atemwege. Hierdurch werden nächtliche Atemstörungen verhindert und gleichzeitig auch tagsüber der Atemfluss verbessert, was wiederum zu einer optimierten Sauerstoffversorgung der Organe führt.