Wie wirkt Alkohol vor dem Zubettgehen auf die Schlafqualität?

24. August 2021
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Wie wirkt Alkohol vor dem Zubettgehen auf die Schlafqualität?

Nicht erst seit Ausbruch der Corona-Pandemie nehmen Ein- und Durchschlafstörungen in der Bevölkerung immer mehr zu[1]. Die gesundheitlichen und finanziellen Sorgen vieler Menschen in der Krise wirken sich negativ auf den Schlaf aus. Es liegt daher nahe, in schwierigen Zeiten, das Einschlafen mithilfe von Alkohol zu beschleunigen. Bekanntermaßen verkürzt Alkohol die Einschlaflatenz, also die Zeit bis zum Schlafbeginn. Diese positive Nebenwirkung von Alkohol ist jedoch ins Verhältnis zu setzen mit den alkoholbedingten Veränderungen der menschlichen Schlafarchitektur.

Warum verkürzt Alkohol die Einschlafzeit?

Der Konsum von alkoholischen Getränken führt zu einer verstärkten Wirkung von Adenosin. Adenosin ist ein körpereigener Botenstoff, der im Gehirn schlafinduzierend wirkt und eine wichtige Rolle im Energiehaushalt des Körpers spielt. Je länger ein Mensch wach bleibt, desto mehr Adenosin sammelt sich im Gehirn an. Das Adenosin wirkt dort wie ein elektrischer Dimmer, der die Nerven von „wach“ auf „müde“ stellt, wodurch der Schlafdruck ansteigt[2]. Eine klinische Studie zeigte, dass die Nervenzellen im Gehirn bereits kurz nach einer Alkoholaufnahme erheblich mehr Adenosinrezeptoren auf ihrer Oberfläche zur Verfügung stellen[3]. Dies hat zur Folge, dass auch mehr „molekulare Schalter“ verfügbar sind, um auf „müde“ zu schalten. Auf diesem Weg fördert der Alkohol die ermüdende Wirkung des Adenosins.

Wie Alkohol in der ersten Nachthälfte wirkt

Die mit Abstand am häufigsten zitierte 2013 veröffentlichte Überblicksstudie[4], die Wissenschaftler des Londoner Sleep Centers erstellt haben, gibt einen guten Überblick darüber, wie Alkohol den Schlaf beeinflusst. Diese Überblicksarbeit liefert zudem eine hervorragende qualitative Bewertung der gesamten wissenschaftlichen Literatur über die unmittelbaren Auswirkungen von Alkohol auf den Schlaf von gesunden Menschen. Alkohol ist ein Sedativum und wirkt wie eine Art Beruhigungsmittel. Diese sedierende Wirkung führt dazu, dass der Schlafende in der ersten Hälfte der Nacht merklich längere Tiefschlafphasen (Slow-Wave-Schlafphasen) durchläuft. Der Tiefschlaf ist ein nahezu traumloser Schlaf, der insbesondere für die körperliche Erholung und Reparatur zuständig ist. Im Slow-Wave-Schlaf werden Zellen repariert, Abfallstoffe aus dem Gehirn ausgeschwemmt, Muskeln aufgebaut, das Immunsystem gestärkt und das hormonelle Gleichgewicht reguliert. Allerdings führen die verlängerten Tiefschlafphasen auch dazu, dass der Körper in der ersten Nachthälfte weniger oder kaum REM-Phasen erfährt. Es zeigt sich eine eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehung. Je höher die aufgenommene Alkoholmenge, desto länger die Tiefschlafphasen in der ersten Nachthälfte und desto kürzer die REM-Schlafphasen.

Welche Funktionen erfüllt der REM-Schlaf?

Der REM-Schlaf folgt unmittelbar auf die Tiefschlafphase und ist durch schnelle Augenbewegungen bei geschlossenen Augenlidern gekennzeichnet. Die Abkürzung REM bedeutet „rapid eye movement“, also „rasche Augenbewegungen“. In dieser Schlafphase sind die menschlichen Träume am intensivsten. Der REM-Schlaf ist insbesondere für die geistige Erholung maßgeblich. Im REM-Schlaf wird alles verarbeitet, was der Mensch tagsüber erlebt und gelernt hat. Das angesammelte Wissen wird sortiert und konsolidiert. Ein qualitativ hochwertiger REM-Schlaf bildet die Grundlage dafür, dass der Mensch am nächsten Tag ein gesteigertes Konzentrationsvermögen zeigt, bessere Entscheidungen trifft und Probleme schneller lösen kann. Ein effektiver REM-Schlaf reduziert die Anfälligkeit für Stimmungsschwankungen und sorgt tagsüber für Entspannung und verbesserte Ausgeglichenheit. Die REM-Phase ist also entscheidend für das psychische und emotionale Gleichgewicht des Menschen.

Wie Alkohol in der zweiten Nachthälfte wirkt

Während in der ersten Hälfte der Nacht tatsächlich eher noch die Vorteile des Alkoholkonsums überwiegen, verkehrt sich dies in der zweiten Nachthälfte ins genaue Gegenteil. Die britische Übersichtsarbeit zeigt, dass Menschen nach Alkoholgenuss, in der zweiten Hälfte der Nacht, deutlich unruhiger schlafen und häufiger aufwachen, auch wenn sie sich daran fast nie erinnern können. Ursache ist wahrscheinlich, dass der Alkoholspiegel dann bis zu dem Level abgebaut ist, an dem er stimulierend wirkt. Das wiederholte Aufwachen führt dazu, dass die Schlafphasen fragmentiert werden. Insbesondere der REM-Schlaf ist dosisabhängig weniger lang und nur in geringerem Maße erholsam. Körper und Geist können sich folglich nicht so effektiv regenerieren, wie es ohne Alkohol der Fall wäre. Ein Mangel an REM-Schlaf, insbesondere in der zweiten Nachthälfte, kann die Konzentration, die Gedächtnisleistung und auch die motorischen Fähigkeiten am nächsten Tag negativ beeinflussen. Darüber hinaus wirkt Alkohol bekanntlich harntreibend. Er erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man nachts häufiger auf die Toilette muss, was den Schlaf stört und die Schlafeffizienz weiter vermindert.

Alkohol fördert Schnarchen und nächtliche Atemstörungen

Die sedierende Wirkung des Alkohols relaxiert Weichgewebe (Zunge, Gaumenzäpfchen, Gaumensegel) im Mund- und Rachenraum. Die Folge ist eine stärkere Kollapsneigung dieser Weichgewebe, was wiederum die oberen Atemwege verengt. Dies ist der Grund, warum Menschen, die vor dem Schlafengehen Alkohol getrunken haben, häufiger und auch lauter schnarchen. Der Alkohol entspannt verstärkt die Rachenmuskulatur, was zu einem vergrößerten Widerstand beim Atmen führt. Daraus ergibt sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass im Schlaf auch zunehmend Atemaussetzer und Atemflussreduzierungen vorkommen. Diese Apnoen und Hypopnoen, die kennzeichnend sind für die obstruktive Schlafapnoe, fragmentieren den Schlaf und tragen zusätzlich zu einer Minderung der Schlafqualität bei. Bereits die geringe Aufnahme von Alkohol kann dazu führen, dass Schnarchen und nächtliche Atemstörungen vermehrt auftreten[5]. Der Zusammenhang zwischen Alkohol und Schlafapnoe ist durch zahlreiche Studien wissenschaftlich sehr gut erforscht worden. Eine Anfang 2018 im Journal „Sleep Medicine“ veröffentlichte englische Metastudie kam auf der Basis von 21 Einzelstudien zu der Erkenntnis, dass der Konsum von Alkohol das Risiko einer Schlafapnoe um etwa 25% vergrößert.

Alkohol ist als Schlafhilfe nicht geeignet

Die negativen Folgen des Alkoholkonsums in der zweiten Nachthälfte überwiegen die Vorteile in der ersten Hälfte der Nacht sehr deutlich: Die natürliche Schlafarchitektur wird gestört, insbesondere der REM-Schlaf verkürzt und nächtliche Toilettengänge werden wahrscheinlicher. Des Weiteren fördert der Alkohol das Schnarchen und eine Verschlechterung der Atmung (schlafbezogene Atmungsstörungen). Die Nebenwirkungen von Alkohol sind insgesamt erheblich und er ist folglich als „Schlafmittel“ nicht geeignet. Bei Einschlafproblemen empfiehlt sich daher das körpereigene Neurohormon Melatonin ( siehe Blogbeitrag vom 04.05.2021). Es hilft sehr effektiv die Einschlafzeit zu verkürzen und ist praktisch nebenwirkungsfrei. Zudem sind Abhängigkeits- und Gewöhnungseffekte, wie sie für erhöhten Alkoholkonsum typisch sind, beim Schlafhormon Melatonin unbekannt.

 

Anmerkungen:

[1] Journal of Clinical Sleep Medicine, Volume 16, No. 8, Aug. 2020, S. 1255-1263: John AcquavellaReena MehraMorgan BronJoanna M-H SuomiGregory P Hess: „Prevalence of narcolepsy and other sleep disorders and frequency of diagnostic tests from 2013-2016 in insured patients actively seeking care“

[2] Journal of Sleep Research, Volume 25, Ausgabe 2, Apr. 2016, S. 131-143: Alexander A. BorbélySerge DaanAnna Wirz-JusticeTom Deboer: „The two-process model of sleep regulation: a reappraisal“

[3] PNAS, Volume 115, Ausgabe 31, Jul. 2018, S. 8009-8014: Eva-Maria Elmenhorst, David Elmenhorst, Sibylle Benderoth, Tina Kroll, Andreas Bauer, Daniel Aeschbach: „Cognitive impairments by alcohol and sleep deprivation indicate trait characteristics and a potential role for adenosine A1 receptors

[4] Alcoholism, Volume 37, Ausgabe 4, Apr. 2013, S. 539-549: Irshaad O. EbrahimColin M. ShapiroAdrian J. Williams, Peter B. Fenwick: „Alcohol and Sleep I: Effects on Normal Sleep“

[5] Otolaryngology–Head and Neck Surgery, Volume 163, Ausgabe 6, Dez. 2020, S. 1078-1086: Christian Burgos-SanchezNolan N. JonesMichael Avillion, et al.: „Impact of alcohol consumption on snoring and sleep apnea: A systematic review and meta-analysis“