Warum ist Vorhofflimmern oftmals eine Folge der Schlafapnoe?

26. Oktober 2021
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Vorhofflimmern (VHF) ist die weltweit häufigste Form der Herzrhythmusstörung. In Deutschland leiden nach Schätzungen etwa 1,5 bis 1,8 Millionen Menschen unter Vorhofflimmern, also ca. 1,8% bis 2,2% der Bevölkerung. Die Wahrscheinlichkeit für diese Erkrankung steigt mit zunehmendem Alter stark an. Epidemiologische Studien zeigen, dass von den 35-44-jährigen Personen weniger als 1% vom VHF betroffen sind, hingegen mehr als 10% der 65-74-Jährigen[1]. Mit großer Sicherheit dürfte das Vorhofflimmern deutlich unterdiagnostiziert sein, da schätzungsweise ein Drittel der Betroffenen keine erkennbaren Symptome zeigt. In etwa 85% der Fälle ist das Vorhofflimmern sekundärer Natur[2]. Die Herzrhythmusstörung ist also die Folge einer oder mehrerer chronischer Erkrankungen, welche die auslösende Ursache darstellen. In diesen Fällen ist das VHF folglich das Symptom einer anderen Krankheit.

Vorhofflimmern – was ist das?

Der regelmäßige und normofrequente Herzrhythmus wird von einem speziellen Rhythmusgeber, dem sogenannten Sinusknoten vorgegeben. Der Sinusknoten ist eine Ansammlung von spezialisierten Herzmuskelzellen im rechten Herzvorhof. Von diesem Rhythmusgeber wandert eine elektrische Erregung in geordneten Bahnen über die Muskulatur der Herzvorhöfe, und veranlasst diese dazu sich zusammenzuziehen, und das Blut in die Herzkammern zu pumpen. Diese Muskelkontraktion der Herzvorhöfe führt zu einer zusätzlichen Blutfüllung der Herzkammern, die sich wenige Millisekunden später ebenfalls zusammenziehen und dann das Blut in den Lungen- bzw. Körperkreislauf pumpen. Bildlich gesprochen ist die Funktion der Herzvorhöfe mit der eines Turboladers beim Automotor vergleichbar, da sie das Schlagvolumen der Herzkammern um etwa 15% erhöhen.

Beim Vorhofflimmern wird das regelmäßige Kommando des Taktgebers, also des Sinusknotens, gewissermaßen „übertönt“ von ungeordneten, chaotischen und kreisenden elektrischen Erregungen, die in extrem schneller Abfolge von 300 bis 600 pro Minute über die Herzvorhöfe laufen. Die Konsequenz ist, dass die Herzvorhöfe nur noch Flimmerbewegungen durchführen können, ohne tatsächlich Blut zu pumpen. Die Herzvorhöfe können dann ihre Funktion als „Turbolader“ nicht mehr erfüllen. Die Herzleistung ist entsprechend reduziert. Gleichzeitig werden die elektrischen Erregungen von den Herzvorhöfen nur noch unregelmäßig und meistens auch zu schnell auf die Herzkammern übertragen. Betroffene mit einem Vorhofflimmern verspüren daher typischerweise einen zu schnellen und vor allem auch vollkommen unregelmäßigen Pulsschlag. Es werden überwiegend Beschwerden wie Luftnot und Angstgefühl, starkes Herzklopfen bzw. Herzrasen oder allgemeine Abgeschlagenheit und Unwohlsein beklagt[3]. Komplikationen, die sich aus dem Vorhofflimmern ergeben, können allerdings auch dann zu Tage treten, wenn keinerlei Symptome vorliegen.

Wie gefährlich ist das Vorhofflimmern?

Beim Vorhofflimmern führt die irreguläre Kontraktion der Vorhöfe zu einer verlangsamten Blutströmung. Das Blut verbleibt länger in den Vorhöfen und insbesondere in den sogenannten Vorhofohren. Diese Blutansammlung kann zur Bildung von Blutgerinnseln (Thromben) führen. Löst sich ein solcher Thrombus aus dem Herzvorhof, kann er mit dem Blutstrom in den Kopf gespült werden, und dort eine Hirnarterie verschließen und so zu einem Schlaganfall führen. Der Anteil des Gehirns, der zuvor von dieser nunmehr verschlossenen Hirnarterie mit Blut versorgt wurde, erhält plötzlich keinen Sauerstoff mehr, und stirbt innerhalb weniger Minuten unwiederbringlich ab. Ein derartiger Schlaganfall kann zu schwersten Behinderungen wie einer Halbseitenlähmung bis hin zum Tod führen. Etwa ein Fünftel aller Schlaganfälle ist durch das Vorhofflimmern bedingt. Jährlich ereignen sich in Deutschland über 200.000 Schlaganfälle, was mehr als 50.000 Todesfälle zur Folge hat. Nach Herzinfarkt und Krebserkrankungen ist der Schlaganfall die dritthäufigste Todesursache in Deutschland[4].

Welche Ursachen hat das Vorhofflimmern?

Die Frage nach den Ursachen des Vorhofflimmerns ist hochkomplex, vielschichtig und bisher wurden die genauen Mechanismen dahinter noch nicht vollständig verstanden. Zahlreiche Risikofaktoren können dazu beitragen, dass sich ein VHF entwickelt. Das Vorhofflimmern tritt häufig zusammen mit anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf, wie beispielsweise koronare Herzkrankheit, Herzschwäche oder Herzklappenfehler, die zu einer Entzündung oder physischen Dehnung der Herzvorhöfe führen und die spezialisierten Zellen im Vorhof schädigen können.

Als weitere Risikofaktoren werden zum Beispiel Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Adipositas genannt. Darüber hinaus scheint es auch eine genetische Vorbelastung für das VHF zu geben. Vermutlich führen die genannten Faktoren zu übermäßigem Zellstress im Herzvorhof und dadurch zu einer Gewebeheterogenität. Die Zellen entwickeln plötzlich unterschiedliche elektrische Eigenschaften: Eine Zelle leitet die Signale schneller weiter, als die direkt benachbarte Zelle. Bei einer anderen Zelle ist wiederum die Refraktärzeit, also die Zeit nach einer Entladung, in der keine Signale weitergeleitet werden können, verkürzt. Diese verschiedenen elektrischen Merkmale haben zur Konsequenz, dass die Signalübertragung in den Herzvorhöfen nicht mehr berechenbar ist und schließlich vollkommen chaotisch verläuft[5].

Wie hängt das Vorhofflimmern mit der Schlafapnoe zusammen?

Die zuvor genannten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen typische Folge- bzw. Sekundärerkrankungen der Schlafapnoe dar[6]. Es kann deshalb nicht verwundern, dass Patienten, die unter schlafbezogenen Atmungsstörungen leiden, überdurchschnittlich häufig vom Vorhofflimmern betroffen sind. Eine von der Universität Oslo durchgeführte Studie, die im Februar 2020 veröffentlicht wurde, zeigte, dass die obstruktive Schlafapnoe bei Patienten mit Vorhofflimmern sehr weit verbreitet ist. Von 579 Patienten mit paroxysmalem (anfallsartigem) Vorhofflimmern konnte bei 82,7% eine behandlungswürdige Schlafapnoe mittels Polygraphieuntersuchung (mobiles Screening auf Schlafapnoe zu Hause) nachgewiesen werden. Bei 42,1% der Untersuchten wurde sogar eine mittel- bis schwergradige Schlafapnoe diagnostiziert. Zahlreiche andere Studien belegten ebenfalls eine hohe Korrelation zwischen der Schlafapnoe und dem Vorhofflimmern[7-9].

Wie bereits ausgeführt, gerät beim Vorhofflimmern die Signalweiterleitung in den Herzvorhöfen „aus dem Takt“. Exakt das gleiche Bild zeigt sich auch bei einer Atempause, die durch Schlafapnoe ausgelöst wird. Ein bildhafter Vergleich kann dies am besten erklären: Ein Sportler, der intensiven Ausdauersport betreibt, wird feststellen, dass sich Puls und Blutdruck erhöhen und natürlich auch die Atemfrequenz ansteigt. Die Muskeln benötigen während des Sports deutlich mehr Sauerstoff, um die Mehrarbeit bewältigen zu können. Es muss folglich mehr geatmet werden, um sicherzustellen, dass auch mehr Sauerstoff in den Körper gelangt. Gleichzeitig muss das Herz schneller schlagen, um mehr Sauerstoff über die Blutbahn zu den Zellen transportieren zu können. Der erhöhte Herzschlag lässt den Druck in den Blutgefäßen entsprechend ansteigen, eine Blutdruckerhöhung ist die unmittelbare Folge. Die durch den Sport verursachte synchronisierte Erhöhung von Puls, Blutdruck und Atemfrequenz ist völlig normal und gesundheitlich unbedenklich. Ein völlig konträres Bild zeigt sich hingegen bei schlafbezogenen Atmungsstörungen: Während eines nächtlichen Atemaussetzers ist der Atemfluss durch den anatomischen Verschluss der oberen Atemwege vollständig zusammengebrochen. Die Körperzellen müssen jedoch auch während einer Atempause weiterhin mit Sauerstoff versorgt werden, um ein Absterben zu verhindern. Entsprechend reagiert das Herz, indem es schneller schlägt. Das Blut wird schneller gepumpt, um dem Sauerstoffmangel entgegenzuwirken. Durch den erhöhten Puls steigt entsprechend auch der Blutdruck an. Während eines nächtlichen Atemstillstands verlaufen also Herzschlag, Blutdruck und Atemfrequenz nicht mehr synchron miteinander, sie sind im wahrsten Sinne des Wortes „aus dem Takt geraten“.  Viele Wissenschaftler, die das Vorhofflimmern erforschen, vermuten, dass es genau diese Apnoe-assoziierten arrhythmogenen Effekte sind, die letztlich zur Schädigung der spezialisierten Herzmuskelzellen im Vorhof führen, und damit das Vorhofflimmern bewirken[10].

Konsequente Therapie der Schlafapnoe kann den Sinusrhythmus wiederherstellen

Aufgrund der hohen Korrelation zwischen Schlafapnoe und Vorhofflimmern ist es sinnvoll, dass Patienten, die unter Vorhofflimmern leiden, im Schlaflabor abklären lassen, ob ggf. eine behandlungswürdige Schlafapnoe vorliegt. Durch diese Vorgehensweise besteht die Chance die potenzielle Grundursache des Vorhofflimmerns herauszufinden. Sollte die Schlafapnoe für das Vorhofflimmern verantwortlich sein, kann durch konsequente Therapie der schlafbezogenen Atmungsstörung das Wiederauftreten von Vorhofflimmern verhindert werden. Eine im Frühjahr 2015 veröffentlichte US-Metastudie, die insgesamt 7 Einzelstudien mit 1087 Schlafapnoe Patienten zusammenfasste, konnte beweisen, dass die Verwendung von CPAP (continuous positive airway pressure) das Risiko für das Wiederauftreten von Vorhofflimmern signifikant verringerte. Die CPAP-Anwender erreichten durchschnittlich eine 42%ige relative Risikoreduktion des Vorhofflimmern-Rezidivs im Vergleich zur Gruppe der Nicht-CPAP-Nutzer. Die Ergebnisse sprechen bei Patienten mit Vorhofflimmern eindeutig für ein aktives Screening auf bisher nicht diagnostizierte Schlafapnoe. Eine vollständige Normalisierung der durch Schlafapnoe erhöhten kardiovaskulären Risikofaktoren kann durch die ursachenbezogene Therapie der Schlafapnoe erreicht werden. Im Ergebnis wird nicht nur die Lebenserwartung der Betroffenen verlängert, sondern auch deren Lebensqualität entscheidend verbessert.

 

Anmerkungen:

[1] Clinical Epidemiology, Volume 2014: 6, Jun. 2014, S. 213-220: Massimo Zoni-BerissoFabrizio LercariTiziana CarazzaStefano Domenicucci: „Epidemiology of atrial fibrillation: European perspective“

[2] AMBOSS GmbH: https://www.amboss.com/de/wissen/Vorhofflimmern/

[3] Pschyrembel Online: https://www.pschyrembel.de/Vorhofflimmern/K0NW4/doc/

[4] Klinikum Stuttgart: https://www.klinikum-stuttgart.de/kliniken-institute-zentren/neurologische-klinik/an-einem-standort-vereint/schlaganfall-ist-die-dritthaeufigste-todesursache

[5] Körber-Stiftung: Dr. Philip Bittihn: „Chaos im Herzen Herzrhythmusstörungen aus physikalischer Sicht – neue Perspektiven für eine alternde Gesellschaft?“: https://www.koerber-stiftung.de/fileadmin/user_upload/koerber-stiftung/redaktion/deutscher-studienpreis/preistraeger/2014/zweite-preise/pdf/Essay_P-Bittihn.pdf

[6] International Archives of Otorhinolaryngology, Volume 20, Apr. 2016, S. 145-150: José Antonio Pinto, Davi Knoll Ribeiro, Andre Freitas da Silva Cavallini, Caue Duarte, Gabriel Santos Freitas: “Comorbidities Associated with Obstructive Sleep Apnea: a Retrospective Study“

[7] Circulation, Volume 110, Ausgabe 4, Jul. 2004, S. 364-367: Apoor S GamiGregg PressmanSean M CaplesRavi KanagalaJoseph J GardDiane E DavisonJoseph F MaloufNaser M AmmashPaul A FriedmanVirend K Somers: „Association of Atrial Fibrillation and Obstructive Sleep Apnea“

[8] Int. Journal of Cardiology Heart & Vasculature; Volume 31, Dez. 2020, 100681: Dominik Linz, Dobromir Dobrev: „Sleep apnea and atrial fibrillation: Update 2020“

[9] Pulmonary Medicine, Volume 2013, Feb. 2013, Article ID 621736: Jacqueline M. Latina, N. A. Mark Estes, Ann C. Garlitski: The Relationship between Obstructive Sleep Apnea and Atrial Fibrillation: A Complex Interplay“

[10] Frontiers in Neurology, Volume 8, Article 668, Dez. 2017: Erika Marulanda-Londoño, Seemant Chaturvedi: The Interplay between Obstructive Sleep Apnea and Atrial Fibrillation“