Warum ist die erste Nacht in fremder Umgebung meist wenig erholsam?

19. April 2022
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Urlaubs- und Geschäftsreisende berichten seit vielen Jahren, dass die erste Nacht in der Ferienwohnung oder im Hotel überwiegend mit schlechter Schlafqualität verbunden ist. Die erste Nacht in ungewohnter Umgebung ist gewöhnlich sogar dann wenig geruhsam, wenn das Bett ausreichend groß, das Kopfkissen besonders weich und die Umgebung absolut leise ist. Dieses Phänomen, welches als Erste-Nacht-Effekt (englisch: First-Night-Effect) bezeichnet wird, kann nicht nur den Beginn einer Reise negativ beeinträchtigen, sondern insbesondere auch die Genauigkeit von polysomnographischen Messergebnissen im Schlaflabor. Um potenzielle schlafbezogene Atmungsstörungen feststellen zu können, müssen Probanden im Schlaflabor die erste Nacht in einem fremden Bett schlafen. Entsprechend sind die ermittelten Messwerte mit Vorsicht zu betrachten. Der folgende Blogbeitrag beschäftigt sich mit den Ursachen des First-Night-Effects und mit der Frage, wie dieser abgeschwächt werden kann.

Wissenschaftliche Evidenz des Erste-Nacht-Effekts

Der First-Night-Effect ist mittlerweile wissenschaftlich sehr gut untersucht und es herrscht Einigkeit darüber, dass dieses Phänomen nicht nur eine bloße Einbildung der Betroffenen ist, sondern, dass es sich um eine Wahrnehmung handelt, die tatsächlich signifikant häufiger auftritt, wenn die erste Nacht in ungewohnter Schlafstätte verbracht wird. Eine im Januar 2022 in der Fachzeitschrift „Sleep Medicine“ veröffentlichte chinesische Metastudie[1] hat sich dem Thema gewidmet. Sie wertete die Daten aus insgesamt 53 Einzelstudien mit 1422 Probanden aus. Die chinesischen Wissenschaftler evaluierten die im Schlaflabor gemessenen Schlafparameter gesunder Personen und verglichen die erhobenen Daten aus der ersten Nacht mit den Daten aus der darauffolgenden zweiten Nacht.

Es zeigte sich ein deutlicher Unterschied: In der ersten Nacht, im Vergleich zur zweiten Nacht, war die Zeit bis zum Einschlafen verlängert und auch die REM-Latenz (Zeit zwischen dem Einschlafen und dem Beginn des Traumschlafs) war erhöht. Hingegen war die Gesamtschlafzeit in der ersten Nacht verringert und auch die Schlafeffizienz und die Dauer des REM-Schlafs waren reduziert. Die Daten belegten, dass der Afnteil der Leichtschlafphasen in der ersten Nacht angestiegen war. Interessanterweise war der First-Night-Effect bei jungen Erwachsenen etwas weniger stark ausgeprägt. Die Metastudie machte allerdings zu den Ursachen dieser Beobachtung keine Aussagen.

Hypothese zum Erste-Nacht-Effekt

Vermutlich liegt der First-Night-Effect in ureigenen Instinkten, die dem Steinzeit-Menschen einst beim Überleben geholfen haben. Nach einer längeren Jagd waren die Jäger der Steinzeit häufiger gezwungen in einer fremden Höhle zu schlafen. Hier bestand die Gefahr, dass der eigentliche Bewohner der Höhle unerwartet zurückkehrte und unvermittelt angriff. Um sich dagegen zu wappnen, war es besser, wenn man nicht zu tief schlief, um notfalls schnell reagieren und sich in Sicherheit bringen zu können. Der moderne Mensch schläft zwar heute nicht mehr in Höhlen, aber der Effekt ist letztlich gleichgeblieben: Beim Schlafen in einer neuen Umgebung fährt die Gehirnaktivität nicht ganz herunter, um im Falle einer bösen Überraschung entsprechend schnell reaktionsbereit zu sein. Erst wenn die Erfahrung gemacht wurde, dass die neue Schlafstätte sicher ist, kehrt der gewohnt tiefe und erholsame Schlaf zurück. Dies ist erfahrungsgemäß bereits ab der zweiten Nacht der Fall.

US-Studie entdeckte Ursache des Erste-Nacht-Effekts

Eine im Frühjahr 2016 in der Fachzeitschrift „Current Biology“ veröffentlichte und vielbeachtete amerikanische Studie konnte erstmals mit großer Sicherheit die bereits seit vielen Jahren bestehende Hypothese zum First-Night-Effect bestätigen. Von bestimmten Meeresbewohnern und Vögeln ist bekannt, dass sie nur mit einer Gehirnhemisphäre schlafen, während die andere Hirnhälfte eine Art Nachtwache hält, um schneller auf potenzielle Risikofaktoren reagieren zu können. Ein Forscherteam um Professor Yuka Sasaki von der Brown University in Providence (Rhode Island, USA) stellte die Hypothese auf, dass das menschliche Gehirn ebenfalls unihemispherisch schläft, wenn erstmalig in einer unbekannten Umgebung übernachtet wird. Diese These beruht auf Beobachtungen von bestimmten Meeressäugern. Von Delfinen oder Walen ist nämlich bekannt, dass sie immer nur mit einer Gehirnhälfte schlafen. Um ihre Hypothese zu evaluieren, untersuchten die Wissenschaftler den Schlaf von 35 Studienteilnehmern im Schlaflabor. Es kamen modernste und sehr teure Verfahren zur Erfassung von Hirnaktivitäten zum Einsatz: Elektroenzephalographie (EEG), Magnetoenzephalographie (MEG) und Magnetresonanztomographie (MRT) Die Probanden verbrachten jeweils zwei Nächte im Schlaflabor, um die Schlafmuster vergleichen zu können. Die Forscher konzentrierten sich insbesondere auf die Untersuchung der Hirnstromwellen, mit denen sich die Schlaftiefe bestimmen lässt. Die Messergebnisse lieferten ein eindeutiges Bild: In der ersten Nacht war der Schlaf deutlich unruhiger und stärker fragmentiert, als in der zweiten Nacht. Die Daten belegten, dass die beiden Gehirnhemisphären in der ersten Nacht unterschiedlich arbeiteten. Während die rechte Gehirnhälfte relativ normal schlief, blieb in der linken Gehirnhälfte, während des Tiefschlafs, ein bestimmtes neuronales Netzwerk aktiv.

Die linke Gehirnhälfte hält Nachtwache

Die Teilnehmer der US-Studie bekamen während ihrer Tiefschlafphase störende Töne zu hören, was ein viel schnelleres Aufwachen verursachte, als das üblicherweise der Fall ist. Die linke Gehirnhemisphäre übte in der ersten Nacht eine Art „Wächterfunktion“ aus, welche vor möglichen Gefahren schützen soll. Diese Habachtstellung stört nicht nur die Schlafqualität, sondern auch bereits das Einschlafen. Denn je mehr Schwierigkeiten die Probanden beim Einschlafen hatten, desto unterschiedlicher waren ihre beiden Gehirnhälften aktiv. Dieses Phänomen wird als interhemisphärische Asymmetrie der Schlaftiefe bezeichnet. Das neuronale Netzwerk, welches eine Art „Nachtwächter-Funktion“ übernimmt, wird Default Mode Network (DMN) genannt. Der asymmetrische Schlaf zwischen den beiden Gehirnhälften spielt also eine ähnliche Rolle, wie bei bestimmten Meeressäugern und Vögeln. Es zeigte sich, dass die Unterschiede zwischen den beiden Gehirnhemisphären in der zweiten Nacht wieder verschwanden. Die Studienteilnehmer schliefen also bereits in der zweiten Nacht wieder ganz normal. Das Gehirn hatte sich demnach bereits an die neue Umgebung angepasst, was die sehr hohe Flexibilität des menschlichen Denkorgans eindrucksvoll unter Beweis stellt.

Wie lässt sich der Erste-Nacht-Effekt abmildern?

Wer die erste Nacht in fremder Schlafumgebung erholsamer schlafen möchte, sollte versuchen, der neuen Schlafstätte die vermeintliche Unsicherheit zu nehmen. Nach dem japanischen Sprichwort „Wenn du das Kopfkissen wechselst, schläfst du nicht“, kann es sinnvoll sein, von Zuhause das eigene Kopfkissen, oder zumindest den Kopfkissenbezug, auf Reisen mitzunehmen. Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass der Ruhende von seinem bekannten Geruch umgeben ist. Wer dem fremden Übernachtungsort die unbekannten Gerüche, Geräusche und optischen Eindrücke nimmt, der ist eher in der Lage ähnlich gut zu schlafen wie im heimischen Bett. Zudem sollten die gewohnten Einschlafrituale und die Regeln der Schlafhygiene (siehe Blogbeitrag vom 19.03.2019) auch auf Reisen fortgeführt werden. Für längere Businesstrips, wo jede Nacht an einem anderen Ort geschlafen wird, empfiehlt es sich Hotelzimmer zu wählen, die stets mit den exakt gleichen Möbeln und Einrichtungsgegenständen ausgestattet sind. Vielleicht kann dies auch erklären, warum gerade bei Vielreisenden und Geschäftsleuten die bekannten Hotelketten so überaus beliebt sind.

 

Anmerkungen:

[1] Sleep Medicine, Volume 89, Januar 2022, S. 159-165: Lei DingBaixin ChenYanyuan DaiYun Li: „A meta-analysis of the first-night effect in healthy individuals for the full age spectrum