Polyphasischer Schlaf: Zeitersparnis zu Lasten der Gesundheit?

22. April 2023
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Der Schlaf zählt zu den essenziellsten Vorgängen in der menschlichen Physiologie und beansprucht im Durchschnitt rund ein Drittel des gesamten Lebens. Angesichts der Tatsache, dass der Mensch einen erheblichen Teil seiner Lebenszeit dem Schlaf widmet, ist es verständlich, dass großes Interesse besteht, diesen in zeitlicher Hinsicht zu optimieren. Der polyphasische Schlaf, eine Technik, die darauf abzielt, die Gesamtschlafzeit durch mehrere kurze Schlafperioden zu verkürzen, hat in den vergangenen Jahren erhebliche Aufmerksamkeit erregt. Die Möglichkeit, signifikante Zeitersparnisse zu erzielen, ohne dabei Abstriche bei der körperlichen und kognitiven Leistungsfähigkeit machen zu müssen, klingt zweifellos sehr attraktiv. Es ergeben sich allerdings zwangsläufig Fragen zur genauen Funktionsweise des polyphasischen Schlafs, zu dessen Effektivität sowie zu möglichen gesundheitlichen Risiken. Der folgende Fachbeitrag wird diese Punkte klären und insbesondere die Frage, ob der polyphasische Schlaf (auch mehrphasiger Schlaf genannt) tatsächlich eine sinnvolle Alternative zum traditionellen monophasischen Schlaf darstellen kann.

Funktionsweise des polyphasischen Schlafs

Die meisten Menschen bevorzugen den monophasischen Schlaf, der den gesamten Schlafbedarf durch einen einzigen, durchschnittlich sieben bis acht Stunden langen Nachtschlaf innerhalb einer 24-Stunden-Periode abdeckt. Wird hingegen das Schlafbedürfnis auf einen Nachtschlaf und auf einen kurzen Mittagsschlaf verteilt, spricht man vom biphasischen Schlaf. Im Gegensatz dazu werden beim polyphasischen Schlaf mindestens drei Schlafperioden pro Tag durchlaufen.

Der typische sieben bis acht Stunden andauernde Nachtschlaf ist durchschnittlich in fünf etwa 90 Minuten lange Schlafzyklen gegliedert. Ein Schlafzyklus besteht aus der Abfolge der Schlafstadien N1 (Leichtschlaf), N2 (stabiler Schlaf), N3 (Tiefschlaf) und REM-Schlaf (Traumschlaf)[1]. Um die notwendige körperliche und geistige Regeneration und Erholung zu erreichen, sind überwiegend der Tiefschlaf und der REM-Schlaf von entscheidender Bedeutung. Sie zählen zu den besonders erholsamen Schlafphasen, und sollten optimalerweise mehr als 45 Prozent der Gesamtschlafzeit ausmachen, damit eine bestmögliche Schlafqualität sichergestellt ist[2].

Die Verteilung des Schlafs auf mindestens drei Zeitabschnitte pro 24 Stunden verfolgt das Ziel, möglichst viel REM-Schlaf mit einer möglichst kurzen Gesamtschlafdauer zu erreichen. Der REM-Schlaf ist hauptsächlich für die zerebrale Erholung verantwortlich und letztlich entscheidend dafür, dass ein mehrphasiger Schlaf nicht mit kognitiven Leistungseinschränkungen verbunden ist[3].

Varianten des polyphasischen Schlafs

Innerhalb des polyphasischen Schlafs gibt es eine Vielzahl unterschiedlichster Schlafmuster. Die bekanntesten Formen sind der Everyman-Schlaf, der Dymaxion-Schlaf und der Uberman-Schlaf.

Der Everyman-Schlaf gliedert sich in einen längeren Kernschlaf in der Nacht und mehreren Nickerchen von 20 bis 30 Minuten über den Tag verteilt. Die Naps sollen dabei den relativ kurzen Hauptschlaf, der nur drei bis vier Stunden dauert, ergänzen. Der Everyman-Schlaf ist besonders beliebt, da er die Gesamtschlafdauer bereits erheblich reduzieren kann, ohne dass der Schlafsuchende seinen gewohnten Alltag besonders stark umgestalten muss.

Der Dymaxion-Schlaf ist ein Schlafmodus, der ohne Hauptschlafphase auskommt und lediglich aus vier kurzen Naps von 30 Minuten besteht, die gleichmäßig über 24 Stunden verteilt sind. Der Dymaxion-Schlaf (benannt nach Erfindungen des US-Erfinders Richard Buckminster Fuller) ist die extremste Variante des polyphasischen Schlafs und erfordert ein besonders hohes Maß an Selbstdisziplin. Gerade in der Umstellungsphase vom monophasischen Schlaf kann dieser Schlafmodus besonders belastend für den Körper sein.

Das Uberman-Schlafmuster verkürzt die Gesamtschlafzeit auf zwei bis drei Stunden pro Tag. Diese Variante nutzt zur Deckung des Schlafbedarfs insgesamt sechs Nickerchen von 20 bis 30 Minuten. Die Verteilung der Naps erfolgt ebenfalls in gleichen Zeitabständen über eine 24-Stunden-Periode. Wie der Dymaxion-Schlaf verlangt auch der Uberman eine überdurchschnittliche Selbstbeherrschung um ihn in den Alltag integrieren zu können.

Anwendungsgebiete des polyphasischen Schlafs

Der Mehrphasenschlaf findet vor allem im Spitzensport Anwendung, wenn Athleten zur erfolgreichen Teilnahme an Ausdauersportveranstaltungen ihre Schlafzeiten minimieren müssen. Besonders im Ultra-Ausdauersport, wie zum Beispiel beim Radrennen „Race Across America“ oder bei Weltumseglern, ist die Anwendung des polyphasischen Schlafs Grundvoraussetzung, um sich Chancen auf den Sieg zu bewahren. Etwas weniger offensichtlich erscheint die Praktizierung des mehrphasigen Schlafs, wenn es um kognitive Spitzenleistungen geht. Für Studenten mag die Aufteilung des Schlafs auf mehrere kurze Blöcke eine Option sein, um den Schlafbedarf zu verringern und mehr Zeit für das Studium oder wissenschaftliche Arbeiten zu haben. Gerade wenn es beispielsweise um den Abgabetermin für eine Dissertation geht, kann der polyphasische Schlaf einen Ausweg darstellen, um einem akuten Zeitmangel entgegenzuwirken. Allerdings sollte man rechtzeitig mit der Umstellung auf den mehrphasigen Schlaf beginnen. Es ist nämlich zunächst eine mindestens ein- bis zweiwöchige Adaptionsphase notwendig, um sich an das neue Schlafmuster zu gewöhnen. Die Praxis zeigt, dass diese Anpassungsphase fast immer mit einem kognitiven, und häufig auf körperlichen Leistungsabfall verknüpft ist. Die Integration des polyphasischen Schlafs in den (Berufs-)Alltag stellt zudem eine sehr große Herausforderung dar, weil er ein besonders hohes Maß an Disziplin erfordert. Es ist von großer Wichtigkeit, dass die einzelnen Schlafepisoden immer zur exakt gleichen Zeit eingeplant, und entsprechend regelmäßig praktiziert werden. Nur so kann eine Gewöhnung des Körpers an den neuen Schlafrhythmus erreicht werden. Darüber hinaus muss die Schlafumgebung möglichst ruhig und vollständig abgedunkelt sein, um eine optimale Erholung sicherzustellen.

Wie wirkt sich der polyphasische Schlaf auf die Gesundheit aus?

Die Aufteilung des Schlafs auf mehrere kurze Naps über eine 24-Stunden-Periode hat zur Folge, dass letztlich kein kompletter Schlafzyklus von 90 Minuten durchlaufen werden kann. Zwangsläufig führt das zur Konsequenz, dass der polyphasische Schläfer auch keinen ausreichenden Tiefschlaf und REM-Schlaf erfährt. Es stellt sich folglich die Frage, ob die gewonnene Zeitersparnis nicht auf Kosten der Gesundheit geht. Eine im Juni 2021 in der Fachzeitschrift „Sleep Health“ veröffentlichte Metastudie ging dieser Fragestellung nach. Sie wertete die Daten von insgesamt 22 relevanten Einzelstudien aus, an denen insgesamt 996 Probanden teilgenommen hatten. Die Metastudie stellte fest, dass keine Evidenz für die Vorteilhaftigkeit des polyphasischen Schlafs gefunden werden konnte. Vielmehr herrscht wissenschaftliche Einigkeit darüber, dass mehrphasige Schlafrhythmen einen akuten oder chronischen Schlafmangel begünstigen, was mit negativen Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit sowie auf die Leistungsfähigkeit einhergeht. Eine deutliche Reduzierung der Schlafzeiten pro Tag und/oder die Aufteilung des Schlafs in mehrere Episoden über 24 Stunden verteilt, wird daher nicht empfohlen. Die Studienautoren betonten, dass derartige Schlafmuster sowohl kurzfristige, als auch langfristige gesundheitliche Risiken mit sich bringen können. Dazu gehören unter anderem Stoffwechselstörungen sowie ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ 2 Diabetes.

Wie alltagstauglich ist der polyphasische Schlaf?

Es ist unstrittig, dass der Mehrphasenschlaf die Gesamtschlafzeit erheblich verkürzt. Allerdings bedarf es eines außerordentlichen Maßes an Disziplin und Durchhaltevermögen, um sich vom monophasischen auf den polyphasischen Schlaf umzugewöhnen. Insbesondere im Hinblick auf die Gesundheit sind die Auswirkungen des mehrphasigen Schlafs negativ zu bewerten. Obwohl er für sportliche Extremwettkämpfe alternativlos erscheinen mag, ist er für den Alltag eindeutig nicht zu empfehlen. Auf Basis der Studienlage wird empfohlen auf eine ausreichende Gesamtschlafzeit von beispielsweise sieben oder acht Stunden zu achten und diese gegebenenfalls auf mehrere kürzere Zeitabschnitte im Verlauf von 24 Stunden zu verteilen. Dabei sollte jedoch unbedingt darauf geachtet werden, dass im jeweiligen Schlaffenster mindestens ein vollständiger Schlafzyklus von 90 Minuten durchlaufen werden kann. Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass der Körper die erforderliche Dosis an Tiefschlaf und REM-Schlaf erhält. Die beispielsweise vom Fußballer Christiano Ronaldo praktizierte Methode, seinen Gesamtschlaf auf fünf Einheiten von jeweils 1,5 Stunden zu verteilen, erscheint gesundheitlich unbedenklich. Sie bietet jedoch keine Zeitersparnis, was wiederum dem eigentlichen Ziel des polyphasischen Schlafs zuwiderläuft.

Anmerkungen:

[1] Sleep Foundation: https://www.sleepfoundation.org/stages-of-sleep

[2] American Academy of Sleep Medicine (AASM), Westchester, Ill. 2007: Conrad Iber, Sonia Ancoli-Israel, Andrew L. Chesson, Stuart F. Quan: „The AASM Manual for the Scoring of Sleep and Associated Events: Rules, Terminology, and Technical Specifications.“

[3] Current Biology, Volume 27, Ausgabe 22, Nov. 2017, S. R1237-R1248: John Peever, Patrick M. Fuller: The Biology of REM Sleep“