Alleine in Deutschland sind Millionen von Menschen von Lärmbelästigung im Schlaf betroffen. Laut einer im Juli 2020 veröffentlichten Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Bundesumweltamts sind in Deutschland über 10,9 Millionen Menschen, also mehr als 13% der Bevölkerung, nachts einer durchschnittlichen Lärmstörung von über 50 Dezibel ausgesetzt. Der genannte Grenzwert ist sogar vergleichsweise hoch angesetzt, da der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Wert eines nächtlichen Lärmpegels, ohne gesundheitliche Auswirkungen, bei lediglich 40 Dezibel liegt[1]. Deutschlands Hauptlärmverursacher in der Nacht ist der Straßenverkehr, dicht gefolgt vom Schienenverkehr. Hingegen leiden weniger als 1% der Bevölkerung unter nächtlichem Flugzeuglärm[2]. Das liegt mit Sicherheit auch an den Nachtflugverboten, die in Deutschland an den meisten Verkehrsflughäfen bestehen. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass Fluglärm gleichzeitig auch als die am stärksten belästigende Verkehrslärmquelle gilt.
Die Ohren schlafen nicht
Gesundheitliche Risiken durch nächtlichen Lärm wären vermeidbar, wenn der Mensch seine Ohren genauso verschließen könnte, wie seine Augen. Es stellt sich die Frage, warum der Mensch hierzu nicht in der Lage ist. Sicherlich mag diese Frage völlig absurd klingen, sie ist aber durchaus berechtigt. Die Antwort liegt, wie so häufig, in der menschlichen Evolution begründet. Hätte der Mensch die Fähigkeit seine Ohren im Schlaf zu „blockieren“, könnte er den nächtlichen Angriff eines potenziellen Fressfeindes nicht hören. Eine entsprechende Verteidigung oder Fluchtreaktion („fight-or-flight“) wäre somit unmöglich. Es ist folglich eine Art Lebensversicherung vor den Gefahren im Schlaf, dass das menschliche Ohr niemals schläft. Interessanterweise kann der Homo sapiens im Schlaf nicht bewusst hören. Das Ohr empfängt die Schallwellen und sendet entsprechende Signale ans Gehirn. Erst dort entscheidet eine Art „Geräuschfilter“, ob bestimmte Töne wahrgenommen werden oder nicht. Dieser „Geräuschfilter“ ist überaus bemerkenswert: Es kommt nämlich ganz darauf an, welche Geräuscharten verarbeitet werden müssen. Hierzu stellen Mütter ein sehr gutes Beispiel dar: Sie reagieren auf die Stimme ihres Kindes besonders empfindlich, können aber andere Störgeräusche (z.B. das Schnarchen des Partners) in der Regel sehr gut ausblenden.
Warum nächtlicher Lärm die Gesundheit gefährdet?
Lärmstörungen im Schlaf reduzieren nicht nur die Schlafqualität, sondern können auch zu gesundheitlichen Risiken und potenziellen Erkrankungen führen. Lärm stellt zwar keine unmittelbare Gefahr dar, aber der Organismus reagiert so, als wäre es eine. Dies hat zur Folge, dass die Nebennieren vermehrt Stresshormone wie Cortisol ausschütten. Der Körper bereitet sich so normalerweise auf Kampf oder Flucht vor. Das Herz schlägt dann schneller und der Blutdruck steigt entsprechend an[3]. Fett- und Zuckerreserven werden ins Blut gepumpt, um mehr Energie bereitstellen zu können. Das Immunsystem und die Verdauung werden hingegen heruntergefahren. Hält dieser nächtliche Alarmzustand über einen längeren Zeitraum an, kann er krank machen. Er führt zu Hypertonie (Bluthochdruck), zu hohem Blutzucker und überhöhtem Cholesterin. Das sind Vorboten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Risikofaktoren für einen Herzinfarkt. Auch psychische Erkrankungen, wie Depressionen oder Angststörungen, können durch den nächtlichen Lärm häufiger auftreten.
Überblick über die Studienlage
Wie groß ist die Gefahr wirklich durch nächtlichen Dauerlärm krank zu werden? Der Zusammenhang zwischen Lärm im Schlaf und negativen gesundheitlichen Auswirkungen ist weit weniger eindeutig, als gemeinhin angenommen wird. Die genannte Korrelation lässt sich nämlich nur sehr schwer auf einem qualitativ hohen Datenniveau evaluieren. Schließlich können im Schlaf auch noch viele andere Risikofaktoren, wie zum Beispiel schlafbezogene Atmungsstörungen, ebenfalls die Gesundheit gefährden. Zudem unterscheiden die meisten Studien auch nicht zwischen Tages- und Nachtlärm. Es ist jedoch unstrittig, dass es eine Verbindung zwischen Lärmexposition mit Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Schlaganfall, einem gesteigerten Verbrauch von Schlafmitteln und einer Verschlechterung der allgemeinen Gesundheit gibt[4]. Darüber hinaus hängt eine dauerhaft erhöhte Geräuschbelastung mit einem Anstieg psychischer Erkrankungen, wie Depressionen, Angstzustände, kognitive Störungen und Demenz, zusammen[5].
Zusammenhang zwischen nächtlicher Lärmexposition und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Häufig zitiert wird eine im April 2020 in der Fachzeitschrift „Annual Review of Public Health“ veröffentlichte Studie, die unter Führung der Uniklinik Mainz erstellt wurde. Sie kam zu der Erkenntnis, dass eine durch Lärm gestörte Nachtruhe das Risiko steigert, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln. Die wesentlichen Einflussfaktoren in diesem Prozess liegen in erhöhten Stresshormonspiegeln, der Bildung von freien Radikalen (oxidativer Stress) und potenziellen Entzündungsreaktionen in Gehirn, Herz und Gefäßen. Die Studie betonte, dass die lärminduzierte Pathophysiologie bei Nachtlärm stärker ausgeprägt war, als bei Lärm am Tag. Eine nächtliche Lärmexposition führt, im Vergleich zu Tageslärm, zu einer intensiveren Stressreaktion, die sich in höheren Neurohormonspiegeln und einem merklichen Anstieg des oxidativen Stresses äußert. Es deutet außerdem einiges darauf hin, dass intermittierender Lärm, der deutlich über den Hintergrundpegeln liegt, im Schlaf besonders schädlich sein kann.
Auswirkungen von nächtlichem Verkehrslärm auf die Gefäßfunktion
An der Uniklinik Mainz wurden auch zwei sehr interessante Feldstudien unter Leitung des Kardiologen Prof. Dr. Thomas Münzel durchgeführt, wie nächtlicher Flugzeuglärm die Gefäßfunktion beeinflusst. Gesunde Probanden und Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) wurden im Schlaf einer Audiowiedergabe von 30 und 60 Fluglärmereignissen ausgesetzt[6,7]. Die Studienteilnehmer trugen während der Nacht mobile polygraphische Screening-Geräte mit kontinuierlicher Aufzeichnung von Elektrokardiogramm (EKG), des Sauerstoffgehalts im Blut sowie des Schlaf-Wach-Rhythmus. Der nächtliche Flugzeuglärm verursachte nicht nur eine deutliche Minderung der Schlafqualität, sondern auch eine Verschlechterung der Gefäßfunktion und einen Anstieg des Adrenalinspiegels. Die negativen Effekte der Lärmbelastung auf die Gefäßfunktion waren bei den Personen mit KHK stärker ausgeprägt. Die Minderung der Gefäßfunktion war sogar unabhängig von der Schlafqualität und der, von den Probanden angegebenen, Lärmempfindlichkeit. Es zeigte sich, dass die Abnahme der Gefäßfunktion (Elastizität) mit dem vergleichbar war, was bei Arbeitnehmern nach einer 24-Stunden-Schicht, oder bei Menschen, die unter chronischem Schlafentzug litten, beobachtet wurde.
Wie Lärm im Schlaf die psychische Gesundheit beeinträchtigt
Nächtliche Lärmexposition ist nicht nur mit mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert, sondern auch mit häufigeren psychischen Erkrankungen. Eine Metaanalyse, die im Rahmen eines Forschungsvorhabens des Umweltbundesamtes zu den psychischen Auswirkungen von Verkehrslärm im August 2020 veröffentlicht wurde, bestätigte diese Zusammenhänge. Im Rahmen der Auswertung von insgesamt 31 Einzelstudien kamen die Wissenschaftler zu folgenden Ergebnissen: Das relative Risiko, an einer Depression zu erkranken, stieg um 12% pro 10 Dezibel Anstieg des 24-Stunden-Dauerschallpegels für Flugzeuglärm, sowie um 2-3% pro 10 Dezibel Anstieg des 24-Stunden-Dauerschallpegels für Straßenverkehrslärm. Eine Einschränkung der Metastudie bestand allerdings darin, dass sie nicht zwischen Tages- und Nachtlärm unterschied. Es ist jedoch sehr sicher, dass Schallimmission im Schlaf keine geringeren Beeinträchtigungen für die mentale Gesundheit verursacht, als eine vergleichbare Lärmbelastung am Tag.
Weitere Risikofaktoren verstärken die Gesundheitsrisiken nächtlicher Lärmexposition
Lärm im Schlaf verschlechtert nicht nur die Lebens- und Schlafqualität, sondern lässt auch die Mortalität, infolge häufigerer Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ansteigen. Auf Basis der derzeitigen Studienlage lässt sich eindeutig sagen, dass nächtliche Lärmbelästigung einen statistisch signifikanten Anstieg kardiovaskulärer Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall, koronare Herzkrankheit etc.) nach sich zieht. Insbesondere nächtlicher Fluglärm gilt als besonders gesundheitsschädigend. Kommen weitere Risikofaktoren im Schlaf hinzu, wie beispielsweise die schlafbezogenen Atmungsstörungen der obstruktiven Schlafapnoe, können sich die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit gegenseitig verstärken. Die Studienlage konnte außerdem beweisen, dass eine Lärmbelastung im Schlaf das Risiko für geistige Erkrankungen steigert.
Anmerkungen:
[1] WHO Regional Office for Europe (2018) „Environmental Noise Guidelines for the European Region“; WHO Regional Office for Europe, Copenhagen
[2] Bundesgesundheitsblatt, Volume 63, Juli 2020, S. 987–996: Jördis Wothge, Hildegard Niemann: „Gesundheitliche Auswirkungen von Umgebungslärm im urbanen Raum“
[3] EXCLI Journal, Volume 16, Juli 2017, S. 1057-1072: Habib Yaribeygi, Yunes Panahi, Hedayat Sahraei, Thomas P. Johnston, Amirhossein Sahebkar: „The impact of stress on body function: A review“
[4] Noise & Health, Volume 12, Ausgabe 47, April 2010, S. 64-69: Mia Zaharna, Christian Guilleminault: „Sleep, noise and health: review“
[5] International Journal of Environmental Research and Public Health, Volume 19, Ausgabe 5, Februar 2022, 2696: Xiangpu Gong, Benjamin Fenech, Claire Blackmore, Yingxin Chen, Georgia Rodgers, John Gulliver, Anna L. Hansell: „Association between Noise Annoyance and Mental Health Outcomes: A Systematic Review and Meta-Analysis“
[6] Clinical Research in Cardiology, Volume 104, Ausgabe 1, Januar 2015, S. 23-30: Frank Schmidt, Kristoffer Kolle, Katharina Kreuder, Boris Schnorbus, Philip Wild, Marlene Hechtner, Harald Binder, Tommaso Gori, Thomas Münzel: „Nighttime aircraft noise impairs endothelial function and increases blood pressure in patients with or at high risk for coronary artery disease“
[7] European Heart Journal, Volume 34, Ausgabe 45, Dez. 2013, S. 3508-3514: Frank P. Schmidt, Mathias Basner, Gunnar Kröger, Stefanie Weck, Boris Schnorbus, Axel Muttray, Murat Sariyar, Harald Binder, Tommaso Gori, Ascan Warnholtz, Thomas Münzel: „Effect of nighttime aircraft noise exposure on endothelial function and stress hormone release in healthy adults“