Können nächtliche Atemaussetzer Schmerzen verursachen?

14. Juni 2021
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Die tägliche Praxis in Schlaflaboren zeigt, dass die obstruktive Schlafapnoe in der Regel erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert wird. Dies liegt daran, dass Schlafapnoe selbst keine Schmerzen verursacht und das Hauptsymptom der Krankheit, nämlich lautes und unregelmäßiges Schnarchen, von den Betroffenen nicht wahrgenommen werden kann. Weitere typische Symptome der Krankheit, wie Tagesmüdigkeit oder Einschränkungen der körperlichen und kognitiven Leistungsfähigkeit, fallen vorwiegend schwach aus, und deren richtige Deutung unterliegt der subjektiven Selbstwahrnehmung. Das äußerst langsame Fortschreiten des Krankheitsbildes über viele Jahre führt zu einem Gewöhnungseffekt. Hinzu kommt, dass die überwiegende Zahl der Apnoiker die Krankheitssymptome, durch entsprechendes Anpassungsverhalten, (z.B. Veränderung der Kopfhaltung, siehe Blogbeitrag vom 18.02.2020) kompensiert, was ebenfalls eine frühzeitige Diagnose erschwert. Es kann deshalb nicht verwundern, dass die obstruktive Schlafapnoe zumeist erst dann festgestellt wird, wenn sie bereits ein schwergradiges Niveau erreicht hat.

US-Forscher untersuchten den Zusammenhang zwischen nächtlichem Sauerstoffmangel und Schmerzen

Die durch Schlafapnoe verursachten Atemstörungen führen zu einem nächtlichem Sauerstoffabfall und fragmentieren den Schlaf, was dessen Erholungswert negativ beeinträchtigt. Der Sauerstoffmangel gefährdet nicht nur das Herz- und Kreislaufsystem, sondern könnte auch der Trigger für eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit von Schlafapnoe Betroffenen sein. Um diese Hypothese zu verifizieren, analysierten US-Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen nächtlicher Hypoxie (Mangelversorgung mit Sauerstoff) und Schmerzen auf Basis der Daten von 634 Schlafapnoe Patienten aus der Cleveland Family Study. Die Cleveland Family Study ist die weltweit größte familienbasierte Studie zur Schlafapnoe. Sie beinhaltet die Daten von 2284 Personen aus 361 Familien, die über einen Zeitraum von 16 Jahren bis zu viermal, insbesondere auf schlafbezogene Atmungsstörungen, untersucht wurden. Die Studie wurde bereits 1990 mit dem ursprünglichen Ziel begonnen, die familiäre Aggregation der Schlafapnoe zu quantifizieren. Die Forscher der Stanford University School of Medicine konzentrierten ihre Datenauswertung auf die Probanden, deren Schlaf im Rahmen des vierten Untersuchungstermins (2001 bis 2006) mittels Polysomnographie (Schlaflaboruntersuchung) analysiert wurde. Die in die Studie eingeschlossenen Teilnehmer hatten zudem im vierten Untersuchungstermin eine Blutprobe abgegeben, um die Erstellung ihres biochemischen Profils, mit Fokus auf Entzündungsmarker, zu ermöglichen. Darüber hinaus lagen von den Studienteilnehmern umfangreiche Daten über deren Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen vor. Die 634 Probanden beantworteten einen Fragebogen, der Angaben zu vier verschiedenen Schmerzarten erhob: Kopfschmerzen am Morgen gaben 52,7 Prozent an, 40,7 Prozent berichteten von schlafstörenden Kopfschmerzen, 31,4 Prozent dokumentierten Schmerzen in der Brust, während sie im Bett lagen und 58,0 Prozent konnten aufgrund allgemeiner Schmerzen nachts nicht richtig durchschlafen.

US-Studie belegte Zusammenhang zwischen nächtlichem Sauerstoffdefizit und Schmerzen

Die 2013 im Journal of Anesthesiology veröffentlichte Studie bewies eine signifikante Verbindung zwischen der, durch Schlafapnoe verursachten, Hypoxie und drei der vier abgefragten Schmerzformen. Mit sinkender minimaler arterieller Sauerstoffsättigung (SaO2) stieg die Wahrscheinlichkeit morgendlicher Kopfschmerzen, schlafunterbrechender Kopfschmerzen sowie Brustschmerzen, während der Zeit im Bett. Die Wissenschaftler stellten fest, dass sich die Schmerzwahrscheinlichkeit ungefähr verdoppelte, wenn die minimale arterielle Sauerstoffsättigung von 92,3 Prozent auf 74,6 Prozent sank. Die Studienautoren konnten hingegen keinen Zusammenhang zwischen der Schmerzsymptomatik und den, durch Schlafapnoe ausgelösten, Schlaffragmentierungen oder systemischen Entzündungen erkennen. Dagegen war die Korrelation zwischen dem Sauerstoffmangel im arteriellen Blut und den morgendlichen Kopfschmerzen, sowie den schlafstörenden Kopfschmerzen besonders groß.

Wie ist der Zusammenhang zwischen Hypoxie und Schmerzen bei Schlafapnoe Patienten zu erklären?

Die US-Studie lieferte Beweise für einen unabhängigen Zusammenhang zwischen nächtlicher arterieller Sauerstoffentsättigung und Schmerzen bei Schlafapnoe Patienten. Allerdings erklärten die Wissenschaftler, dass das Studiendesign keine Aussage zur Ursache-Wirkungs-Beziehung zuließ. Die Studiendaten zeigten jedoch, dass ein nächtlich erniedrigter Sauerstoffgehalt im arteriellen Blut ein Risikofaktor für eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit von Schlafapnoe Patienten ist. Die Forscher vermuten, dass die von der obstruktiven Schlafapnoe ausgehenden Schlafunterbrechungen, die letztlich zu Schlafmangel führen, wichtige Entzündungssignalwege aktivieren, was wiederum zu einer erhöhten Produktion von entzündungsfördernden Signalstoffen (z.B. Interleukin-1β) führt. Diese können unterschiedlichste Schmerzbeschwerden, einschließlich Kopfschmerzen, verursachen[1-3]. Es gibt Beweise für eine indirekte Wirkung des periodischen Sauerstoffmangels auf Schmerzen, die von einer systemischen Entzündung ausgelöst werden[4-5]. Neuere experimentelle Ergebnisse sprechen jedoch auch für eine direkte Wirkung der Sauerstoffsensitivität und des Stoffwechsels auf die Schmerzwahrnehmung. Die chronische Exposition eines unregelmäßigen Sauerstoffdefizits führt zu oxidativem Stress. Dieser umfasst ein hochkomplexes System positiver Interaktionen zwischen der Hochregulierung des Hypoxie-induzierten Faktor-1 alpha (HIF-1α) und der verstärkten Produktion von reaktiven Sauerstoffspezies („Sauerstoffradikale“) durch die Mitochondrien[6-9] (vereinfacht „Zellkraftwerke“). In mehreren Ex-vivo und In-vivo-Modellen mit reduzierter Sauerstoffverfügbarkeit im Gewebe[10-12] wurde gezeigt, dass eine derartige oxidative Umgebung die Schmerztransduktions- und Übertragungsprozesse verstärkt. Dies führt möglicherweise zu einer peripheren[13-15] und/oder zentralen[16] Sensibilisierung für Schmerzen. Dieser Nachweis stützt die Hypothese, dass gesteigerte schlafbezogene Schmerzen eine direkte Folge der, durch Schlafapnoe induzierten, mangelnden Sauerstoffversorgung sein könnten.

Konsequente Therapie der Schlafapnoe lindert Schmerzsymptomatik

Die US-Studie zeigte, dass es einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Hypoxie und schlafbezogenen Schmerzen gibt. Allerdings ist die Erklärung der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung überaus komplex und für den medizinischen Laien nur schwer verständlich. Hinzu kommt, dass insbesondere Kopfschmerzen am Morgen nicht nur durch Sauerstoffmangel verursacht werden können, sondern auch durch einen nächtlichen Blutdruckanstieg. Die schlafbezogene Hypertonie ist ein typisches Symptom der Schlafapnoe, da die, durch Schlafapnoe verursachte, nächtliche Stressbelastung zur Ausschüttung von Stresshormonen (Cortisol, Adrenalin) führt, was schlussendlich den Blutdruckanstieg auslöst. Aus diesem Grund werden morgendliche Kopfschmerzen, die meist im Hinterkopf spürbar sind, auch als „Bluthochdruck-Kopfschmerzen“ bezeichnet. Spätestens bei Wahrnehmung dieses Symptoms sollte der Hausarzt aufgesucht werden, um abzuklären, ob eine behandlungswürdige Schlafapnoe vorliegt. Sollte dies der Fall sein, erfolgt die symptomatische Therapie fast ausnahmslos mittels einer Überdruckbeatmungsmaske. Durch den konsequenten Einsatz einer sogenannten CPAP-Maske (Continuous Positive Airway Pressure) während des Schlafs, verschwinden die morgendlichen Kopfschmerzen fast immer. Ein Verzicht auf diese Dauertherapie wird allerdings erst dann möglich, wenn die Ursache der Schlafapnoe mittels bimaxillären Advancement mit Counter Clockwise Rotation beseitigt wird. Die operative Erweiterung der oberen Atemwege eliminiert die nächtlichen Atemflussstörungen und sorgt zugleich für eine optimale Sauerstoffversorgung der Organe. Es verschwinden nicht nur die schlafbezogenen Schmerzen, sondern auch die, durch die Verengung der Luftwege hervorgerufenen, überhöhten Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse wie Schlaganfall oder Herzinfarkt.

 

Anmerkungen:

[1] Archives of Internal Medicine, Volume 166, No. 16, Sept. 2006, S. 1756-1762: Irwin MR, Wang M, Campomayor CO, Collado-Hidalgo A, Cole S: „Sleep deprivation and activation of morning levels of cellular and genomic markers of inflammation.

 [2] Pain, Volume 145, Ausgabe 1, Sept. 2009, S. 136-141: Haack M, Lee E, Cohen DA, Mullington JM: „Activation of the prostaglandin system in response to sleep loss in healthy humans: Potential mediator of increased spontaneous pain.

 [3] Sleep, Volume 30, Ausgabe 9, Sept. 2007, S. 1145-1152: Haack M, Sanchez E, Mullington JM: „Elevated inflammatory markers in response to prolonged sleep restriction are associated with increased pain experience in healthy volunteers.

[4] Nature, Volume 453, Juni 2008, S. 807-811: Rius J, Guma M, Schachtrup C, Akassoglou K, Zinkernagel AS, Nizet V, Johnson RS, Haddad GG, Karin M: „NF-κB links innate immunity to the hypoxic response through transcriptional regulation of HIF-1α.

 [5] Biochemical and Biophysical Research Communications, Volume 355, Ausgabe 3, April 2007, S. 728-733: Ryan S, McNicholas WT, Taylor CT: „A critical role for p38 map kinase in NF-kappaB signaling during intermittent hypoxia/reoxygenation.

[6] Antioxidants & Redox Signaling, Volume 9, Ausgabe 9, Sept. 2007, S. 1397-1403: Prabhakar NR, Kumar GK, Nanduri J, Semenza GL: „ROS signaling in systemic and cellular responses to chronic intermittent hypoxia.

[7] Cell Metabolism, Volume 1, Ausgabe 6, Juni 2005, S. 401-408: Guzy RD, Hoyos B, Robin E, Chen H, Liu L, Mansfield KD, Simon MC, Hammerling U, Schumacker PT: „Mitochondrial complex III is required for hypoxia-induced ROS production and cellular oxygen sensing.

[8] Seminars in Cell & Developmental Biology, Volume 16, Ausgaben 4-5, Aug.-Okt. 2005, S. 474-486: Kietzmann T, Görlach A: „Reactive oxygen species in the control of hypoxia-inducible factor-mediated gene expression.

[9] Antioxidants & Redox Signaling, Volume 9, Ausgabe 9, Sept. 2007, S. 1391-1396: Semenza GL, Prabhakar NR: „HIF-1-dependent respiratory, cardiovascular, and redox responses to chronic intermittent hypoxia.

[10] Pain, Volume 152, Ausgabe 4, April 2011, S. 936-945: Ristoiu V, Shibasaki K, Uchida K, Zhou Y, Ton BH, Flonta ML, Tominaga M: „Hypoxia-induced sensitization of transient receptor potential vanilloid 1 involves activation of hypoxiainducible factor-1 alpha and PKC.

[11] Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA, Volume 106, Ausgabe 47, Nov. 2009, S. 20097-20102: Chuang HH, Lin S: „Oxidative challenges sensitize the capsaicin receptor by covalent cysteine modification.

[12] Blood, Volume 118, Ausgabe 12, Sept. 2011, S. 3376-3383: Hillery CA, Kerstein PC, Vilceanu D, Barabas ME, Retherford D, Brandow AM, Wandersee NJ, Stucky CL: „Transient receptor potential vanilloid 1 mediates pain in mice with severe sickle cell disease.

[13] Pain, Volume 153, Ausgabe 3, März 2012, S. 553-561: Barrière DA, Rieusset J, Chanteranne D, Busserolles J, Chauvin MA, Chapuis L, Salles J, Dubray C, Morio B: „Paclitaxel therapy potentiates cold hyperalgesia in streptozotocin-induced diabetic rats through enhanced mitochondrial reactive oxygen species production and TRPA1 sensitization.

[14] The Journal of Neuroscience, Volume 32, Ausgabe 30, Juli 2012, S. 10136-10145: Kallenborn-Gerhardt W, Schröder K, Del Turco D, Lu R, Kynast K, Kosowski J, Niederberger E, Shah AM, Brandes RP, Geisslinger G, Schmidtko A: „NADPH oxidase-4 maintains neuropathic pain after peripheral nerve injury.

[15] Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA, Volume 109, Ausgabe 24, Juni 2012, S. 1578-1586: Linley JE, Ooi L, Pettinger L, Kirton H, Boyle JP, Peers C, Gamper N: „Reactive oxygen species are second messengers of neurokinin signaling in peripheral sensory neurons.

[16] Pain, Volume 153, Ausgabe 9, Sept. 2012, S. 1905-1915: Lee DZ, Chung JM, Chung K, Kang MG: „Reactive oxygen species (ROS) modulate AMPA receptor phosphorylation and cell-surface localization in concert with pain-related behavior.