Die besten Tipps gegen sozialen Jetlag

18. Juni 2022
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Im Dezember 2017 erhielten die drei US-Forscher Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young den Nobelpreis für Medizin. Die Wissenschaftler wurden für ihre Arbeiten zur Aufdeckung der Funktionsweise und Kontrolle der inneren Uhr ausgezeichnet. Ihre Entdeckungen sind von großer Bedeutung, da die circadianen Rhythmen, wie die innere Uhr in der Fachsprache heißt, viele relevante Körperfunktionen wie Hormonproduktion, Körpertemperatur, Schlaf- und Wachphasen und Blutdruck steuern. Die Auswirkungen dieser täglichen Rhythmen reichen von Stoffwechselprozessen über die Gedächtnisleistung bis hin zum sozialen Jetlag, bei dem es zwischen der inneren Uhr des Menschen und seinem sozialen Umfeld oder beruflichen Erfordernissen („soziale Uhr“) zu erheblichen Diskrepanzen kommt.

Unter sozialem Jetlag leiden in Deutschland mehr als 50% der Bevölkerung[1]. Er stellt folglich nicht nur eine ernstzunehmende gesellschaftliche Herausforderung dar, sondern insbesondere auch ein großes gesundheitliches Problem. Denn sozialer Jetlag ist ein Risikofaktor für metabolischen Stress, der die Entstehung von Adipositas (Fettleibigkeit) und Typ 2 Diabetes begünstigt[2]. Im Folgenden werden nützliche Empfehlungen gegeben, um den Widerstreit zwischen der biologischen Uhr und der sozialen Uhr zu verringern.

Die drei Haupttypen der Chronobiologie

Die Intensität des sozialen Jetlags wird hauptsächlich durch den individuellen Chronotyp bestimmt. Als Chronotypen bezeichnet man Gruppen von Menschen, die aufgrund ihrer biologischen Uhr bestimmte physische Eigenschaften wie etwa die Körpertemperatur, Schlaf- und Wachgewohnheiten oder die Leistungsfähigkeit zu unterschiedlichen Tageszeiten in divergierender Ausprägung aufweisen. Schlafmediziner unterscheiden hierbei drei Haupttypen, die im Grundsatz genetisch angelegt sind: Frühtypen („Lerchen“), Spättypen („Eulen“) und Normaltypen. Die verschiedenen Chronotypen sind meist sehr leicht zu erkennen: Wer gerne lange wach bleibt, spät ins Bett geht und morgens einen Wecker braucht, um werktags rechtzeitig zur Arbeit zu kommen, darf sich zur Kategorie der Abendmenschen zählen. Morgenmenschen wachen hingegen von alleine auf, genießen ihr Frühstück und lieben den Morgen. Sie brauchen nur selten einen Wecker, um erfolgreich in den Tag zu starten. Ihre schwierigsten Aufgaben erledigen sie gerne am Vormittag, tagsüber sind sie selten müde und gehen dafür vergleichsweise sehr früh zu Bett. Wem es schwer fällt, sich eine der beiden Gruppen zuzuordnen, wird wahrscheinlich zu den Normaltypen gehören. Diese befinden sich folglich zwischen den Frühaufstehern und den Spätaufstehern. Ein vom Leibnitz-Institut für Arbeitsforschung entwickelter Fragebogen gibt zusätzliche Klarheit, um den eigenen Chronotyp sicher zu ermitteln.

Wie drei Uhren das menschliche Leben steuern

Das menschliche Leben wird im Grunde von drei Uhren geregelt. Eine Uhr tickt im Inneren des Körpers, die sogenannte innere Uhr, die auch als biologische Uhr bezeichnet wird. Diese wird synchronisiert mit der Uhr, die durch den Tag- und Nachtrhythmus der Erdrotation zur Verfügung gestellt wird, weshalb sie auch als Sonnenuhr tituliert wird. Die Bedeutsamkeit ergibt sich daraus, weil der circadiane Tag des Organismus etwas länger als 24 Stunden dauert. Daher wird diese Periodik täglich mit der Erdrotation synchronisiert, wobei das Sonnenlicht der beeinflussende Faktor ist. Denn nur Licht in den Morgenstunden kann späte innere Uhren nach vorne stellen. Der Taktgeber der Sonnenuhr ist also der jeweilige Stand der Sonne. In der jüngeren Menschheitsgeschichte ist allerdings noch eine dritte Uhr hinzugekommen: die sogenannte soziale Uhr. Bildlich gesprochen, handelt es sich um die Uhr an der Wand, die dem Menschen die aktuelle Uhrzeit anzeigt. Die soziale Uhr basiert nicht auf der menschlichen Chronobiologie, sondern ausschließlich auf den gesellschaftlichen Zeitplänen. Sie regelt beispielsweise wann die Arbeit beginnt, oder zu welcher Uhrzeit Kinder morgens zur Schule gehen. Ohne die soziale Uhr wäre es letztlich nicht möglich, dass Menschen ihre Handlungen im zeitlichen Einklang mit ihrer Umwelt und ihren Mitmenschen koordinieren könnten.

Wie sich sozialer Jetlag in der Praxis zeigt

Die Herausforderungen und gesundheitlichen Probleme beginnen, wenn die soziale Uhr erheblich von der angeborenen biologischen Uhr abweicht. Sozialer Jetlag entsteht immer dann, wenn sich der Alltag nach der sozialen Uhr ausrichtet, und nicht nach der inneren Uhr. Am deutlichsten zeigt sich das beim Spätrhythmiker: Er geht nach seiner biologischen Uhr sehr spät ins Bett, muss aber an Werktagen durch den Wecker geweckt werden, um pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen. Er muss also viele Stunden früher aufstehen, als ihn seine eigene innere Uhr wecken würde. Das Leben gegen die innere Uhr bewirkt ein Schlafdefizit, was eine entsprechende Verringerung der kognitiven Leistungsfähigkeit zur Folge hat[3]. Die Betroffenen entwickeln die größte Differenz zwischen ihren Schlafzeiten an Arbeitstagen und dem Wochenende. Samstags und sonntags wird entsprechend länger geschlafen, um den werktags angesammelten Schlafmangel kompensieren zu können. Aber auch die Frühaufsteher können unter sozialem Jetlag leiden. Bei der abendlichen Freizeitgestaltung kann das leicht beobachtet werden, wenn sie versuchen mit den Nachtmenschen mitzuhalten, und somit für ihre Verhältnisse viel zu spät ins Bett kommen. Es kommt zu einem akuten Defizit an Schlaf, weil sie am nächsten Morgen wieder zur gewohnten Zeit aufstehen, nachdem sie von ihrer inneren Uhr zur frühen Stunde geweckt wurden.

Wie sich sozialer Jetlag auf die Gesundheit auswirkt

Epidemiologische Daten belegen, dass der soziale Jetlag ganz erhebliche Risiken für die Gesundheit mit sich bringt. Eine 2006 in der Fachzeitschrift „Chronobiology International“ veröffentlichte Studie[4] untersuchte, wie die Schlafqualität und das psychische Wohlbefinden mit dem individuellen Chronotyp bzw. dem sozialen Jetlag zusammenhängen. Die insgesamt 501 Studienteilnehmer füllten entsprechende Fragebögen aus, die auch den Konsum von Stimulanzien (Koffein, Nikotin und Alkohol) ermittelten. Es zeigte sich eine sehr auffällige Korrelation zwischen dem Chronotyp und dem Rauchen. Extreme Früh- und Spättypen griffen mehr als sechsmal so häufig zur Zigarette wie die Normaltypen. Zwar konnte die Studie diesbezüglich keine Kausalität beweisen, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Beziehung eine Folge des sozialen Jetlags darstellt. Denn Nikotin-, aber auch Alkoholkonsum deuten häufig auf Spannungen hin, mit den gesellschaftlichen Anforderungen zurechtzukommen. Schlafprobleme und Nikotinkonsum treten mutmaßlich vermehrt auf, wenn sich der biologische Schlaf-Wach-Rhythmus nicht im Einklang mit den sozialen Zeitplänen befindet. Überaus deutlich zeigt sich das auch bei Schichtarbeitern, deren Leben nur höchst selten nach der biologischen Uhr ablaufen kann. Unter ihnen finden sich signifikant mehr Raucher als unter den Menschen, die nicht in Wechselschicht arbeiten[5]. Darüber hinaus sind Personen, die in Schichten arbeiten, einem bis zu 40% höheren Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (Herzinfarkt, Schlaganfall) ausgesetzt[6]. Zahlreiche Studien dokumentieren zudem, dass der soziale Jetlag mit weitreichenden negativen Folgen für die menschliche Psyche verknüpft ist[7-10].

Wie lassen sich die negativen Folgen des sozialen Jetlags verringern?

Um die negativen gesundheitlichen Konsequenzen des gesellschaftlichen Jetlags abzuwenden, sollte dieser auf ein Minimum reduziert werden. In der Theorie lässt sich das einfach erreichen, indem man die soziale Uhr ausschließlich nach der biologischen Uhr ausrichtet, und nicht umgekehrt. Am Beispiel eines Nachtmenschen würde dies bedeuten, dass er sein Tagwerk erst dann beginnt, nachdem ihn seine innere Uhr aufgeweckt hat. Beim Spättyp ist dies möglicherweise aber erst um 11 Uhr der Fall. Was bei einem Single, der im Homeoffice arbeitet, noch funktionieren mag, erscheint aber völlig unrealistisch, wenn man beispielsweise an Eltern schulpflichtiger Kinder denkt. Hier wird sofort klar, dass das soziale Umfeld und die beruflichen Erfordernisse keine Rücksicht auf den eigenen Chronotyp nehmen. Welche Ideen und Strategien lassen sich also in der Praxis umsetzen, um die Diskrepanz zwischen dem sozialen und biologischen Timing abzumildern?

Hier 7 bewährte Tipps für den Alltag:

1. Den eigenen Chronotyp kennen

Sie sollten ihren eigenen Chronotyp und den ihrer engsten Freunde, Verwandten und Berufskollegen kennen. Mit diesem Wissen ausgestattet, wird ihr soziales Miteinander nicht nur harmonischer, sondern auch erfolgreicher und produktiver. Das gegenseitige Verständnis wird gefördert und auch ihre eigene Zufriedenheit gesteigert.

2. Den Tag nach dem eigenen chronobiologischen Rhythmus organisieren

Organisieren sie ihren (Arbeits-)Tag so, dass sie am wachsten sind, wenn es am meisten darauf ankommt. Legen sie also Aufgaben, die höchste Konzentration und Aufmerksamkeit erfordern, in ihre eigene biologische Hochphase. Bei der Lerche also beispielsweise auf die Zeit zwischen 9:00 Uhr und 11:00 Uhr.

3. Koffein strategisch einsetzen

Nutzen sie Koffein ausschließlich als strategisches Mittel zur Leistungssteigerung, nicht aus purer Gewohnheit. Nehmen sie nicht mehr als 400 Milligramm Koffein täglich zu sich. Das sind etwa vier selbst aufgebrühte Tassen Kaffee.

4. Den eigenen Schlafrhythmus beibehalten

Für alle Spättypen gilt: Schlafen sie an den Wochenenden nicht ewig lange aus, wenn sie etwas gegen den sozialen Jetlag unternehmen wollen. Tun sie es doch, stellt sich ihr Biorhythmus auf seine natürlichen Zeiten ein, und sie müssen dann am Montag wieder ganz von vorne anfangen. Die Symptome ihres sozialen Jetlags würden sich dadurch sogar noch weiter verschlimmern.

5. Mehr Licht für bessere Ergebnisse

Statten sie Besprechungsräume, Büros und ihren Schreibtisch mit Tageslichtlampen aus, um Aufmerksamkeit, Produktivität und Stimmung zu steigern. In Großraumbüros sollten beispielsweise morgens die Spätrhythmiker und nachmittags die Frühaufsteher an den Fensterplätzen arbeiten.

6. Wichtige Termine dem eigenen Biorhythmus anpassen

Seien sie sich darüber im Klaren, wann sie sich einbringen und wann sie sich zurücknehmen sollten. Wären sie als Frührhythmiker der Richtige für einen wichtigen Vortrag vor großem Publikum am späten Abend?

7. Auf den Chronotyp des Partners Rücksicht nehmen

Lernen sie in Harmonie mit ihrem Partner zu leben, auch wenn sie verschiedene Chronotypen sind. Beispielsweise bereitet er als Morgenmensch das Frühstück zu und gibt ihr als Eule die Gelegenheit im Tageslicht zu sitzen, ihre innere Uhr neu auszurichten, und richtig wach zu werden. Am Abend ist es dann natürlich an ihr als Spättyp sich stärker einzubringen, indem sie das Essen zubereitet oder die Küche danach aufräumt, während der Frühaufsteher schon müde ist.

Diese Empfehlungsliste ist sicherlich nicht vollständig. Sie zeigt jedoch, dass in der Praxis einiges getan werden kann, um das eigene Leben besser nach der biologischen Uhr zu führen und gleichzeitig den sozialen Jetlag deutlich zu begrenzen.

 

Anmerkungen:

[1] Süddeutsche Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/schlaf-gesundheitsrisiko-sozialer-jetlag-1.1354480

[2] International Journal of Obesity, Volume 39, Ausgabe 5, Mai 2015, S. 842-848: M J ParsonsT E MoffittA M GregoryS Goldman-MellorP M NolanR PoultonA Caspi: „Social jetlag, obesity and metabolic disorder: investigation in a cohort study“

[3] Seminars in Neurology, Volume 29, Ausgabe 4, Sept. 2009, S. 320-339: Namni GoelHengyi RaoJeffrey S DurmerDavid F Dinges: „Neurocognitive consequences of sleep deprivation“

[4] Chronobiology International, Volume 23, Ausgabe 1-2, 2006, S: 497-509: Marc WittmannJenny DinichMartha MerrowTill Roenneberg: „Social jetlag: misalignment of biological and social time“

[5] Scandinavian Journal of Work, Environment & Health, Volume 34, Ausgabe 3, Juni 2008, S. 206-212: Kirsten Nabe-NielsenAnne Helene GardeFinn TüchsenAnnie HoghFinn Diderichsen: „Cardiovascular risk factors and primary selection into shift work“

[6] BMJ, Volume 345, e4800, Juli 2012: Manav V VyasAmit X GargArthur V IansavichusJohn CostellaAllan DonnerLars E LaugsandImre JanszkyMarko MrkobradaGrace ParragaDaniel G Hackam: „Shift work and vascular events: systematic review and meta-analysis“

[7] American Journal of Public Health, Volume 109, Ausgabe 11, e13-e20, Nov. 2019: Luciana TorquatiGregore I MielkeWendy J BrownNicola W BurtonTracy L Kolbe-Alexander: „Shift Work and Poor Mental Health: A Meta-Analysis of Longitudinal Studies“

[8] Giornale Italiano di Medicina del Lavoro ed Ergonomia, Volume 34, Ausgabe 1, Jan-Mrz 2012, S. 76-84: Angela SanciniManuela CiarroccaAssunta CapozzellaPaola CorbosieroMaria FiaschettiTiziana CaciariCarlotta CeticaLara ScimittoBarnaba Giuseppina PonticielloZaira TasciottiMaria Pia SchifanoGiorgia AndreozzitFrancesco TomeiGianfranco Tomei: „Shift and night work and mental health“

[9] Journal of Psychiatric Research, Volume 139, Juli 2021, S: 132-138: Jeanette Therming JørgensenMaarten Pieter RozingRudi Gerardus Johannes WestendorpJohnni HansenLeslie Thomas StaynerMette Kildevæld SimonsenZorana Jovanovic Andersen: „Shift work and incidence of psychiatric disorders: The Danish Nurse Cohort study“

[10] Industrial Health, Volume 57, Ausgabe 2, April 2019, S. 139-157: Claudia R C MorenoElaine C MarquezeCharli SargentKenneth P Wright JrSally A FergusonPhilip Tucker: „Working Time Society consensus statements: Evidence-based effects of shift work on physical and mental health“