Wie hat die Corona-Pandemie unseren Schlaf verändert?

17. Juli 2022
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Die Coronavirus-Pandemie ist die größte globale Gesundheitskrise seit der Ausbreitung von HIV/AIDS Anfang der 1980er-Jahre. Die weltweite Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Abkürzung für „severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“) gefährdet nicht nur die Gesundheit, sondern auch bereits erreichte Niveaus der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Negative Auswirkungen zeigen sich sogar in den Bereichen, die sich der bewussten menschlichen Wahrnehmung entziehen. Hier ist insbesondere der Schlaf gemeint, in welchem der Durchschnittsmensch knapp ein Drittel seines Lebens verbringt. Im Folgenden werden die Effekte der Infektionskrankheit COVID-19 (Abkürzung für „coronavirus disease 2019“) auf den menschlichen Schlaf näher beleuchtet.

Forsa-Umfrage zum Schlaf der Deutschen während der Pandemie

Es ist allgemein bekannt, dass übermäßiger Stress, Angst um die eigene Gesundheit oder die von Angehörigen, finanzielle Probleme oder Bewegungsmangel wenig förderlich für einen guten und erholsamen Schlaf sind. So fielen die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage, im Auftrag der Techniker Krankenkasse, auch wenig überraschend aus. Das Meinungsforschungsinstitut befragte im Mai 2020 bevölkerungsrepräsentativ 1.000 Menschen in Deutschland zu ihrem Schlaf. Von den Befragten gab jeder Zehnte an, während der Corona-Pandemie, schlechter zu schlafen, als in der Zeit vor dem Ausbruch von COVID-19[1]. Im Umkehrschluss bedeutet es aber auch, dass die Einschränkungen und Herausforderungen der Corona-Krise für die große Mehrheit nicht zu einer Verschlechterung der Schlafqualität geführt haben. Allerdings sind Personen, die während der Pandemie stärker unter Stress standen (z. B. Krankenhausmitarbeiter), viel mehr betroffen: Von dieser Befragtengruppe klagte jeder Vierte über schlechteren Schlaf, im Vergleich zur Zeit davor.

Internationale Studie erforschte Schlafstörungen während der Pandemie

Auch auf internationaler Ebene untersuchte die Wissenschaft, wie sich die Corona-Krise auf den menschlichen Schlaf auswirkte. Eine im November 2021 in der Fachzeitschrift „Sleep Medicine“ publizierte Kohorten-Studie lieferte zusätzliche Erkenntnisse. An der globalen Umfrage nahmen 22.330 Erwachsene aus der Allgemeinbevölkerung aus insgesamt 13 Staaten und 4 Kontinenten teil. Die Teilnehmer wurden gebeten, während der ersten Welle der COVID-19-Pandemie von Mai bis August 2020, eine standardisierte webbasierte Umfrage zu ihrem Schlaf und zu möglichen psychischen Symptomen auszufüllen. Die Datenauswertung lieferte folgende Ergebnisse: Klinische Schlaflosigkeitssymptome wurden von 36,7% der Befragten angegeben und 17,4% erfüllten die Kriterien für eine wahrscheinliche Schlafstörung. Von den Umfrageteilnehmern wiesen 25,6% eine mögliche Angststörung auf und 23,1% vermutlich eine Depression. Das Risiko einer Schlafstörung war bei den Teilnehmern höher, die angaben, COVID-19 gehabt zu haben, die über eine größere finanzielle Belastung berichteten, die vier bis fünf Wochen im häuslichen Lockdown waren und insbesondere bei Personen, die alleine oder mit mehr als fünf Personen im gleichen Haushalt lebten.

Diese Erkenntnisse können wenig verwundern. Schließlich wirken sich die gesundheitlichen und finanziellen Sorgen in einer Krise in erheblichem Umfang negativ auf den Schlaf aus. Die Angst um die eigene Gesundheit oder das Grübeln über finanzielle Probleme rauben vielen Menschen den Schlaf. Hinzu kommt, dass die in vielen Staaten durchgeführten Lockdown-Maßnahmen den Alltag der überwiegenden Mehrheit gehörig durcheinandergebracht haben. Sehr häufig musste der Tagesablauf gänzlich neu strukturiert werden, sei es durch Homeoffice, Homeschooling oder neue Herangehensweisen bei der Kinderbetreuung. Die meisten verbrachten deutlich mehr Zeit vor dem Bildschirm, waren weniger häufig draußen an der frischen Luft und bewegten sich auch weniger. Für einen effektiven Schlaf ist dies bedenklich, da ein Mangel an Tageslicht und unzureichende Bewegung nicht nur zu häufigeren Schlafproblemen führen, sondern auch zu einem insgesamt flacheren Schlaf, der weniger erholsam ist[2-3]. Zusammengefasst lässt sich eindeutig sagen, dass Schlafstörungen während der Pandemie signifikant zugenommen haben. Das jeweilige Ausmaß hängt jedoch auch davon ab, wie und in welchem Umfang entsprechende Maßnahmen gegen die Pandemie (z.B. Lockdown, Schulschließungen etc.) vorgenommen wurden.

Homeoffice und Homeschooling verlängerten die Schlafdauer

Corona hatte jedoch nicht nur negative Auswirkungen auf den Schlaf: COVID-19 führte gleichzeitig auch zu stabileren Zubettgehzeiten und einer besseren Anpassung an den eigenen natürlichen Schlafrhythmus. Denn für bestimmte Gruppen, zum Beispiel Schüler im Distanzunterricht oder Arbeitnehmer im Homeoffice, war die Flexibilität deutlich größer geworden. Durch den Wegfall des Arbeits- oder Schulwegs konnten sie oft später aufstehen. Nach ersten Studienergebnissen ist davon auszugehen, dass diese erhöhte Flexibilität dazu geführt hatte, dass die Menschen später zu Bett gingen, und dafür im Gegenzug am nächsten Morgen auch später aufstanden. Eine Schweizer Studie, die im Juli 2020 im Journal „Current Biology“ veröffentlicht wurde, untersuchte das Schlafverhalten in Deutschland, Österreich und der Schweiz während des ersten Corona-Lockdowns von Mitte März bis Ende April 2020. Die Daten bewiesen, dass die Menschen im Durchschnitt tatsächlich etwa 13 Minuten länger schliefen. Das nicht mehr notwendige Pendeln zur Schule oder dem Arbeitsplatz führte zu einer Zeitersparnis, die für eine etwas längere Nachtruhe genutzt wurde.

Die Corona-Krise reduzierte den sozialen Jetlag

Die Schweizer Studie belegte auch, dass die Unterschiede zwischen den Zubettgehzeiten an Werktagen und an Wochenendtagen signifikant verringert wurden. Gerade diese Unterschiede gelten als sehr deutlicher Indikator für den sogenannten sozialen Jetlag. Als sozialer Jetlag (siehe auch Blogbeitrag vom 18.06.2022) wird der Differenzzustand zwischen der biologischen inneren Uhr und der gesellschaftlichen Uhr bezeichnet. Diese Problematik wird am einfachsten am Beispiel des Abendmenschen veranschaulicht: Er geht, gesteuert durch seine innere Uhr, meist erst deutlich nach Mitternacht zu Bett. Dementsprechend würde ihn seine biologische Uhr am nächsten Tag auch erst sehr spät (zum Beispiel um 11 Uhr) aufwecken. In der Praxis klingelt aber bereits um 6:30 Uhr der Wecker, weil er die Kinder zur Schule bringen muss. Das dadurch entstehende Schlafdefizit erhöht das Risiko für die Entstehung von Krankheiten. Diese können von Adipositas (Fettleibigkeit), über Typ 2 Diabetes, bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen reichen[4-5]. Letztlich ist es ein überaus positiver „Nebeneffekt“ der Pandemie, dass durch die erhöhte Flexibilität (z.B. Arbeit im Homeoffice) die soziale Schlafrestriktion signifikant abgenommen hat. Dies gibt Menschen, die normalerweise mit irregulären Schlafzeiten zu kämpfen haben, die einzigartige Möglichkeit, näher an den eigenen natürlichen Schlafrhythmus heranzukommen.

Die positiven Auswirkungen auf den Schlaf nicht überbewerten

Insgesamt betrachtet sollten die positiven Effekte der Pandemie auch nicht überschätzt werden. Der geringfügig verlängerte Schlaf kann seine vorteilhafte Wirkung nicht richtig entfalten, wenn sich die Mehrheit der Bevölkerung zu große (Zukunfts-)Sorgen macht oder in einer negativeren Grundstimmung verhaftet ist. Denn auch die Schweizer Studie zeigte eine leichte Abnahme der Schlafqualität. Das könnte auch daran liegen, dass die Menschen während der Pandemie noch mehr Zeit vor dem Bildschirm verbrachten, als ohnehin bereits. Das blaue Licht der Smartphone-Displays oder der Laptopbildschirme verzögert den Beginn der abendlichen Müdigkeit und kann somit den Takt der inneren Uhr nach hinten verschieben[6]. Diese nachteiligen Konsequenzen lassen sich allerdings auch relativ leicht abmildern. Die Lösung lautet: Häufiger eine digitale Auszeit nehmen, mehr Tageslicht durch Aufenthalt im Freien nutzen und insbesondere physische Aktivitäten erhöhen.

 

Anmerkungen:

[1] TK Die Techniker: https://www.tk.de/presse/corona-pandemie–jeder-zehnte-schlaeft-schlechter-2086306

[2] Journal of Sleep Research, Volume 24, Ausgabe 5, Okt. 2015, S. 526-534: Iuliana HartescuKevin MorganClare D. Stevinson: „Increased physical activity improves sleep and mood outcomes in inactive people with insomnia: a randomized controlled trial“

[3] Journal of Affective Disorders, Volume 295, Dez. 2021, S. 347-352: Angus C. BurnsRicha SaxenaCéline VetterAndrew J. K. PhillipsJacqueline M. LaneSean W. Cain: „Time spent in outdoor light is associated with mood, sleep, and circadian rhythm-related outcomes: A cross-sectional and longitudinal study in over 400,000 UK Biobank participants“

[4] International Journal of Obesity, Volume 39, Ausgabe 5, Mai 2015, S. 842-848: M. J. ParsonsT. E. MoffittA. M. GregoryS. Goldman-MellorP. M. NolanR. PoultonA. Caspi: „Social jetlag, obesity and metabolic disorder: investigation in a cohort study“

[5] The Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism, Volume 100, Ausgabe 12, Dez. 2015, S. 4612-4620: Patricia M. WongBrant P. HaslerThomas W. KamarckMatthew F. MuldoonStephen B. Manuck: „Social Jetlag, Chronotype, and Cardiometabolic Risk“

 [6] Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA, Volume 112, Ausgabe 4, Jan. 2015, S. 1232-1237: Anne-Marie ChangDaniel AeschbachJeanne F. DuffyCharles A. Czeisler: „Evening use of light-emitting eReaders negatively affects sleep, circadian timing, and next-morning alertness“