Hypnotika in der Insomnie-Therapie: Kurzfristige Vorteile und langfristige Risiken

Schlaftabletten

Die Zahl der Insomnie-Diagnosen ist in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten um mehr als 30 Prozent gestiegen[1]. Unter Insomnie versteht man wiederkehrende Ein- oder Durchschlafstörungen, die trotz ausreichender Gelegenheit zum Schlaf über Wochen oder Monate hinweg bestehen und mit einer deutlichen Beeinträchtigung der Tagesleistung verbunden sind. Parallel dazu nahm auch die Verschreibung rezeptpflichtiger Schlafmittel, insbesondere Benzodiazepine und Z-Substanzen (beispielsweise Zolpidem), signifikant zu. Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig. Neben der wachsenden Zahl diagnostizierter Insomnien ist insbesondere zunehmender beruflicher und privater Stress, gesellschaftliche Veränderungen sowie eine erhöhte Sensibilisierung für die Bedeutung der Schlafgesundheit und deren medizinischer Behandlung zu nennen. Der folgende Beitrag erläutert, warum die Einnahme von Schlaftabletten bei Insomnie problematisch ist, mit welchen Risiken sie einhergeht und welche alternativen Therapieansätze zur Verfügung stehen.

Wie Zolpidem und andere Schlafmittel den Schlaf einleiten

Hypnotika wie Zolpidem oder andere Z-Substanzen entfalten ihre Wirkung über das zentrale Nervensystem, indem sie die Signalübertragung des Botenstoffes Gamma-Aminobuttersäure (GABA) verstärken. GABA ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter des Gehirns und sorgt dafür, dass Nervenzellen ihre Aktivität reduzieren. Die Bindung der Medikamente an spezifische GABA-Rezeptoren intensiviert die hemmende Wirkung, was zu einer allgemeinen Dämpfung der Gehirnaktivität führt[2]. Auf diese Weise wird das Einschlafen erleichtert und ein künstlich herbeigeführter Schlafzustand ausgelöst, der in der Fachsprache als „Schlafinduktion“ bezeichnet wird. Zwischen diesem medikamentös eingeleiteten Schlaf und dem natürlichen Schlaf bestehen jedoch Unterschiede: Während der natürliche Schlaf durch einen fein abgestimmten Wechsel verschiedener Schlafstadien gekennzeichnet ist (vgl. Blogbeitrag vom 16.08.2023), zeigt der durch Schlaftabletten induzierte Schlaf häufig eine veränderte Abfolge der Schlafphasen. Auch die Tiefe und Dauer einzelner Schlafstadien weichen von den physiologischen Mustern des natürlichen Schlafes ab[3].

Kurzfristige Vorteile und Einsatzgebiete von Hypnotika

Schlafmittel können trotz ihrer Einschränkungen in spezifischen Situationen eine sinnvolle therapeutische Unterstützung darstellen. Vor allem bei akuten Schlafstörungen, die mit erheblichem Leidensdruck einhergehen, ermöglichen Präparate wie Zolpidem oder Benzodiazepine ein rasches Einschlafen und eine vorübergehende Verbesserung der Schlafqualität. Auch in schweren Krisensituationen, etwa nach traumatischen Erlebnissen oder einschneidenden Lebensereignissen, können sie kurzfristig dazu beitragen, die akute Belastungsreaktion abzumildern und eine temporäre Stabilisierung der psychischen sowie körperlichen Regenerationsprozesse zu fördern. Ärztliche Leitlinien betonen jedoch, dass der Einsatz solcher Medikamente zeitlich strikt begrenzt bleiben sollte. In der Regel wird eine Einnahmedauer von wenigen Tagen bis maximal zwei Wochen empfohlen, um Abhängigkeit, Toleranzentwicklung und weitere unerwünschte Langzeitfolgen zu vermeiden[4].

Probleme, Risiken und Nebenwirkungen von Schlaftabletten

Ein zentrales Problem bei der Einnahme von Schlafmitteln liegt in der Entwicklung einer Toleranz. Bereits nach wenigen Tagen bis Wochen kann sich der Organismus an die Wirkung gewöhnen. In der Folge lässt der schlaffördernde Effekt nach, und viele Betroffene verspüren das Bedürfnis, die Dosis zu steigern, um denselben Nutzen zu erzielen. Beim Absetzen kann es nicht selten zur sogenannten Rebound-Insomnie kommen, die als vorübergehende, oft noch ausgeprägtere Verschlechterung der Schlafstörung definiert wird. Begleitend können Entzugssymptome wie innere Unruhe, Angst, Schwitzen oder Zittern auftreten, die das Absetzen des Therapeutikums zusätzlich erschweren[5].

Darüber hinaus beeinträchtigen Hypnotika die natürliche Schlafarchitektur. Vor allem die erholsamen Tiefschlafphasen (N3) und die für die Gedächtnisbildung bedeutsame REM-Phase (Rapid Eye Movement) können dabei verkürzt oder fragmentiert sein[6]. Das bedeutet, dass der Schlaf zwar länger andauert, seine regenerative Funktion jedoch vermindert ist. In der Folge fühlen sich Betroffene trotz scheinbar ausreichender Schlafdauer am nächsten Tag nicht ausreichend erholt. Diese Diskrepanz zwischen Schlafquantität und -qualität stellt ein wesentliches Problem der medikamentösen Schlafinduktion dar.

Zu den häufigen Nebenwirkungen zählt die sogenannte residuelle Tagesmüdigkeit, die auch als „Überhangeffekt“ bezeichnet wird. Sie entsteht, weil die Wirkung der Präparate über die eigentliche Nacht hinaus anhält. Betroffene fühlen sich dann matt, benommen oder in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Hinzu können Schwindelgefühle sowie Störungen von Gedächtnis und Konzentration kommen[6]. Solche Nachwirkungen schränken die alltägliche Funktionsfähigkeit erheblich ein.

Ein weiteres Risiko ergibt sich aus Wechselwirkungen mit Alkohol und anderen Arzneistoffen. Alkohol wirkt selbst dämpfend auf das zentrale Nervensystem und verstärkt die sedierende Wirkung von Schlaftabletten, was das Risiko für Atemdepression, Verwirrtheit oder Unfälle signifikant erhöht. Dies gilt auch für andere zerebral wirksame Substanzen wie Opioide, bestimmte Antidepressiva oder Antipsychotika. Hinzu kommen pharmakokinetische Interaktionen. Wird beispielsweise das Enzym CYP3A4 durch andere Medikamente gehemmt, steigt der Plasmaspiegel der Hypnotika im Blut. Dadurch werden Wirkung und Nebenwirkungen intensiviert und verlängert. Dies führt zu einem Anstieg der Risiken für Sedierung, Atemdepression oder Verwirrtheit[7].

Der Einsatz im höheren Lebensalter ist besonders problematisch. Ältere Menschen reagieren empfindlicher auf die sedierende Wirkung und verfügen oft nur über eine eingeschränkte Abbaukapazität der Präparate. Das gravierendste Risiko zeigt sich im nächtlichen Sturzgeschehen, etwa beim Gang zur Toilette: Bereits eine leichte Gleichgewichtsstörung kann hier einen Sturz mit schwerwiegenden Folgen wie einem Oberschenkelhalsbruch nach sich ziehen. Solche Verletzungen gehen im fortgeschrittenen Alter nicht selten mit einer dauerhaften Einschränkung der Mobilität oder gar dem Verlust der Selbstständigkeit einher. Zudem steigt das Risiko für Delirien, also akute Verwirrtheitszustände, die durch die Einnahme von Schlafmitteln ausgelöst oder verschlimmert werden können[6].

Warum Schlaftabletten keine Dauerlösung sind

Der Einsatz von Hypnotika stellt im Kern lediglich eine symptomatische Behandlung dar. Die Präparate adressieren nicht die zugrundeliegenden Ursachen der Insomnie, wie beispielsweise unzureichende Schlafhygiene, psychische Belastungsfaktoren oder organische Begleiterkrankungen, sondern sie dienen lediglich der temporären Unterdrückung der Beschwerden. Dadurch entsteht eine trügerische Sicherheit, während die zugrunde liegende Problematik unverändert bestehen bleibt. In vielen Fällen verschlechtert sich die Schlafstörung nach dem Absetzen der Schlaftabletten sogar. Die bereits beschriebene Rebound-Insomnie kann durch ihre ausgeprägte Symptomatik das subjektive Leiden intensivieren und den Eindruck erwecken, ohne Medikation sei erholsamer Schlaf gar nicht mehr möglich. Das Risiko einer psychischen Abhängigkeit steigt dadurch erheblich, und die Chronifizierung der Schlafstörung wird begünstigt. Verfestigt sich die Insomnie, entwickeln sich zusätzlich ungünstige Verhaltensmuster und Erwartungsängste, die den Kreislauf aus schlechtem Schlaf, innerer Anspannung und erneuter Schlaflosigkeit weiter aufrechterhalten. Aus diesen Gründen wird in den Leitlinien zur Therapie der Insomnie eine längerfristige Verordnung von Schlafmitteln über einen Zeitraum von mehr als vier Wochen übereinstimmend abgelehnt[8].

Evidenzbasierte Alternativen zur Therapie von Schlafstörungen

Die mit Abstand wirksamste und wissenschaftlich am besten belegte Behandlungsform bei Ein- und Durchschlafstörungen ist die Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I). Sie zielt darauf ab, schlafstörende Gedankenmuster und ungünstige Verhaltensweisen zu identifizieren und zu verändern. In zahlreichen Studien hat sich gezeigt, dass die KVT-I deutlich effektiver und nachhaltiger ist als eine medikamentöse Behandlung[9].

Eine ausführliche Darstellung der KVT-I findet sich im Blogbeitrag vom 22.12.2024. Zudem bildet die konsequente Umsetzung schlafhygienischer Maßnahmen, wie ein regelmäßiger Schlafrhythmus, die Reduktion von Bildschirmzeiten am Abend oder die Optimierung der Schlafumgebung, eine elementare Grundlage für eine erfolgreiche Insomnie-Therapie. Konkrete Hinweise hierzu werden im Blogbeitrag vom 19.03.2019 näher erläutert.

Darüber hinaus können Entspannungsverfahren eine wertvolle Ergänzung darstellen. Methoden wie progressive Muskelrelaxation, autogenes Training oder Meditation mindern die physiologische Stressreaktion und fördern die innere Ruhe, die für das Einschlafen unerlässlich ist. Ergänzend dazu können Atemübungen, etwa die bewusste Verlängerung der Ausatmung oder rhythmische Atemtechniken, eine beruhigende Wirkung entfalten und den Übergang in den Schlaf erleichtern. Diese Ansätze sind niedrigschwellig, leicht erlernbar und lassen sich mühelos in den Alltag integrieren.

Nachhaltige Insomnie-Therapie: Ursachen behandeln statt Hypnotika

Es bleibt festzuhalten, dass der Einsatz von Schlaftabletten bei Insomnie nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zu rechtfertigen ist. Ihr Nutzen beschränkt sich ausschließlich auf die kurzfristige Linderung akuter Beschwerden, beispielsweise in schweren Krisensituationen. Wird die Einnahme jedoch über den empfohlenen Zeitraum hinaus fortgeführt, überwiegen die Risiken die potenziellen Vorteile deutlich. Die Gefahren von Abhängigkeit, Toleranzentwicklung, Rebound-Insomnie sowie kognitiven und körperlichen Nebenwirkungen stellen schwerwiegende Risiken dar, die den therapeutischen Nutzen einer langfristigen Medikation klar in den Hintergrund treten lassen.

Für eine nachhaltige Verbesserung der Schlafqualität ist daher eine ursachenbezogene Behandlung unverzichtbar. Evidenzbasierte Verfahren wie die Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie, ergänzt durch eine konsequente Optimierung der Schlafhygiene, bieten einen wirksameren und zugleich dauerhaften Ansatz. Auf diese Weise wird nicht nur der Schlaf selbst stabilisiert, sondern auch die langfristige Gesundheit und Leistungsfähigkeit geschützt.

 

Anmerkungen:

[1] BARMER Gesundheitsreport 2019: https://www.barmer.de/presse/infothek/studien-und-reporte/gesundheitsreport-2019-1056360

[2] Universität Hamburg: [PDF] „Die Bedeutung der neueren Hypno-Sedativa Zopiclon und Zolpidem im klinisch-toxikologischen Untersuchungsgut unter besonderer Berücksichtigung der klassischen Benzodiazepine“, https://ediss.sub.uni-hamburg.de

[3] Journal of Psychiatric Research, Volume 34, Ausgabe 6, Dez. 2000, S. 423-438: Irwin Feinberg, Tom Maloney, Ian G. Campbell: „Effects of hypnotics on the sleep EEG of healthy young adults: new data and psychopharmacologic implications“

[4] S3-Leitlinie „Insomnie bei Erwachsenen“; In: AWMF online (Stand 13.11.2024), Registernummer 063-003

[5] The Lancet, Volume 400, Ausgabe 10357, Sep. 2022, S. 1047-1060: Michael L. Perlis, Donn Posner, Dieter Riemann, Celyne H. Bastien, Joseph Teel, Michael Thase: „Insomnia“

[6] BMJ, Volume 331, Ausgabe 7526, Nov. 2005, Epub 1169: Jennifer Glass, Krista L. Lanctôt, Nathan Herrmann, Beth A. Sproule, Usoa E. Busto: „Sedative hypnotics in older people with insomnia: meta-analysis of risks and benefits“

[7] Krankenhauspharmazie, 41. Jahrgang 3/2020, S. 105-108: Holger Petri: „Das Interaktionspotenzial der Hypnotika“

[8] S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM); In: AWMF online (Update 2025), Registernummer 063-003

[9] Sleep, Volume 46, Ausgabe 11, Nov. 2023, zsad184: Jennifer Schuffelen, Leonie F. Maurer, Noah Lorenz, Alexander Rötger, Reinhard Pietrowsky, Annika Gieselmann: „The clinical effects of digital cognitive behavioral therapy for insomnia in a heterogenous study sample: results from a randomized controlled trial“