Risiken und Nebenwirkungen der Zahnschienentherapie

23. Januar 2024
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Risiken und Nebenwirkungen der Zahnschienentherapie

Die Zahnschienentherapie erweist sich als wichtigste Alternative zur CPAP-Maske (Continuous Positive Airway Pressure), die als Goldstandard in der Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe (OSA) gilt. Diese auch als Unterkieferprotrusionsschiene (UKPS) bezeichnete Therapieform kommt insbesondere dann zum Einsatz, wenn die Überdruckbeatmungsmaske von den Betroffenen nicht toleriert wird oder medizinische Gründe, wie zum Beispiel Angststörungen, ihren Einsatz verhindern. Als häufigste nicht-invasive Behandlungsoption nach der CPAP-Therapie zeigt die UKPS eine deutlich verbesserte Compliance (Therapietreue) seitens der Patienten[1]. Trotz dieser positiven Resonanz wird die Unterkieferprotrusionsschiene jedoch ausschließlich als Zweitlinientherapie für Patienten mit leichter- bis mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe empfohlen[2]. Der folgende Beitrag erläutert die Gründe für diese Behandlungspraxis und beschreibt die Risiken und Nebenwirkungen, die mit der Zahnschienentherapie verbunden sind.

Wie die Protrusionsschiene funktioniert

Eine Zahnschiene setzt sich aus einer Unterkiefer- und einer Oberkieferschiene zusammen, die mittels seitlicher Stege miteinander verbunden sind. Das Schienensystem wird aus Kunststoff maßgefertigt und im Dentallabor nach der Abformung der Zähne hergestellt. Die UKPS wird während des Schlafs getragen und bewirkt eine leichte Vorverlagerung des Unterkiefers. Diese Protrusion (Vorverlagerung) des Unterkiefers führt zu einer Vergrößerung des Luftraums zwischen Zungengrund und Rachenhinterwand. Gleichzeitig wird der Zungengrund gespannt, wodurch der Atemwegswiderstand verringert wird. Die Zahnschiene hält die oberen Atemwege offen und reduziert die Wahrscheinlichkeit des Zurückrutschens der Zunge im Schlaf. Dadurch wird die Anzahl der schlafbezogenen Atmungsstörungen vermindert.

Warum die Zahnschiene nur bei leichter- bis mittelgradiger Schlafapnoe empfohlen wird

Metastudien attestierten, dass die UKPS-Therapie hinsichtlich Bluthochdruck, kardiovaskulärer Mortalität, neurokognitiver Funktion, Tagesmüdigkeit und Lebensqualität vergleichbar effektiv ist wie die CPAP-Therapie[1,3]. Allerdings belegten die Studien bei mittel- bis schwergradiger OSA eine Überlegenheit von CPAP bei der Verringerung des Atemstörungsindex AHI (Apnoe-Hypopnoe-Index)[3,4]. Eine randomisierte kontrollierte Studie verdeutlichte, dass die Schienentherapie den Ausgangs-AHI von 25,6 pro Stunde um durchschnittlich 56,6 Prozent auf 11,1 pro Stunde reduzierte, während CPAP sogar eine Verminderung von 82,4 Prozent auf 4,5 pro Stunde erzielte[1]. Besonders bei schwergradiger Schlafapnoe ist die Vorverlagerung des Unterkiefers oft nicht ausreichend, um die oberen Atemwege so zu erweitern, dass die nächtlichen Atemstörungen ausreichend unterdrückt werden. Aufgrund dieser Erkenntnisse empfiehlt die Behandlungsleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) den Einsatz der Protrusionsschiene ausschließlich bei leichter- bis mittelgradiger Schlafapnoe[2].

Untersuchung durch den Zahnarzt klärt die Eignung der Kieferschiene

Die Eignung für die Schienentherapie hängt nicht nur vom Schweregrad der Schlafapnoe ab, sondern auch vom Zahnstatus und dem Zustand der Kiefergelenke. Eine initiale Bewertung durch den Zahnarzt prüft, ob eine langfristige Therapie mittels UKPS überhaupt möglich ist. Schließlich muss das Gebiss eine sichere und stabile Fixierung der Unterkieferschiene ermöglichen. Die Zähne müssen demnach so beschaffen sein, dass eine Zahnschiene an ihnen sicher verankert werden kann. Bevor eine Protrusionsschiene eingesetzt wird, müssen etwaige Zahndefekte behoben werden. Auch eine Paradontitis (chronische Entzündung des Zahnhalteapparats) muss vollständig ausgeheilt sein, da sich diese durch die Schienentherapie verschlechtern würde. Darüber hinaus dürfen keine Funktionsstörungen der Kiefergelenke vorhanden sein, da diese durch das Tragen der UKPS verstärkt werden könnten. Knackende oder knirschende Geräusche im Kiefergelenk dienen als Warnsignal und können auf mögliche Dysfunktionen hinweisen. Eine Kiefergelenkarthrose würde die Anwendung der Unterkieferschiene gänzlich ausschließen. Eine umfassende Bewertung der genannten Faktoren ist von essenzieller Bedeutung, um sicherzustellen, dass die Zahnschienentherapie für den jeweiligen Patienten geeignet und erfolgversprechend ist.

Kurzfristige Nebenwirkungen der Schienentherapie

Wie bei vielen symptomatischen Therapieformen kann es auch bei der UKPS-Behandlung zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen. Dabei ist es jedoch wichtig, zwischen kurz- und langfristigen Begleiterscheinungen zu unterscheiden. Insbesondere in den ersten Wochen nach Beginn der Schienenbehandlung berichten Therapierende öfters von folgenden Nebenwirkungen:

  • gestörte Okklusion (Bisslage) nach dem Schlaf beim Aufstehen am Morgen
  • Spannungsgefühl und Schmerzen an Zähnen, Zahnfleisch, Wange und Zunge
  • Spannungsgefühl oder Schmerzen an den Kiefergelenken und/oder der Kau- und Kopfmuskulatur
  • Würgereiz und/oder störendes Fremdkörpergefühl
  • Hypersalivation (vermehrter Speichelfluss)
  • Xerostomie (Mundtrockenheit)
  • Lockerung von Kronen, Füllungen, Brücken und Prothesen

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass diese Nebenwirkungen in den allermeisten Fällen moderat ausfallen und gut tolerierbar sind. Sie treten überwiegend nur kurzfristig auf und erfordern in der Regel keine Anpassung der Therapie. Praktische Erfahrungen zeigen, dass die beschriebenen kurzfristigen Nebeneffekte mit zunehmender Anwendung der Protrusionsschiene abklingen. Dennoch kann ein Kontrolltermin bei einem auf Schlafmedizin spezialisierten Zahnarzt sinnvoll sein, um ggf. eine optimale Anpassung der Zahnschiene zu gewährleisten.

Dentoskelettale Effekte der Schienentherapie

Die langfristigen Auswirkungen der Unterkieferprotrusionsschiene wurden in einer französischen Studie untersucht, die Anfang 2022 veröffentlicht wurde. Die retrospektive Analyse umfasste 117 Patienten, die im Median 4,6 Jahre mit einer maßgefertigten UKPS behandelt wurden. Hierbei wurden digitale kephalometrische Analysen (Vermessung von Fernröntgenseitenbildern) durchgeführt und die Daten der Erstuntersuchungen mit den Ergebnissen der Nachuntersuchungen verglichen. Die Auswertungen zeigten moderate dentoskelettale Veränderungen. Signifikante Effekte der UKPS-Therapie waren eine Neigungsabnahme der oberen Schneidezähne um 2,5° und eine Neigungszunahme der unteren Schneidezähne um 2,2°. Die Studie belegte, dass eine längere Tragedauer der Schiene zu Veränderungen der Zahnachsen führen kann[5]. Allerdings erwiesen sich die von den Patienten subjektiv wahrgenommenen Nebenwirkungen nicht als zuverlässige Indikatoren für diese dentoskelettalen Veränderungen.

Langfristige Nebenwirkungen erschweren den Therapieerfolg

In einem großen niederländischen Lehrkrankenhaus wurden im Rahmen einer retrospektiven Analyse die Therapieerfolge von 318 Patienten ausgewertet, die ihre Schlafapnoe mit einer Protrusionsschiene therapierten. Immerhin berichteten 54,4 Prozent der Probanden über Nebenwirkungen, wobei die temporomandibuläre Dysfunktion (TMD) mit 27 Prozent am häufigsten auftrat[6]. TMD ist eine komplexe Erkrankung, die durch Fehl- und Funktionsstörungen im Kiefergelenk gekennzeichnet ist. Die temporomandibuläre Dysfunktion umfasst Probleme wie Schmerzen oder eingeschränkte Beweglichkeit im Kiefergelenk und der umliegenden Kaumuskulatur[7]. Bemerkenswert ist, dass 23,3 Prozent der Patienten ihre Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen oder Therapieversagen abbrachen. Darüber hinaus können auch technische Schwierigkeiten mit der Zahnschiene den langfristigen Therapieerfolg erschweren. Spanische Wissenschaftler untersuchten die Häufigkeit technischer Komplikationen im Verlauf einer fünfjährigen Schlafapnoe Behandlung mit einer Kieferschiene. Die Patienten absolvierten im Durchschnitt 2,5 ungeplante Zahnarztbesuche pro Jahr und benötigten durchschnittlich 0,8 Reparaturen oder Neuanpassungen pro Jahr durch einen Zahntechniker. Die meisten außerplanmäßigen Besuche waren im ersten Jahr erforderlich. Als Hauptursachen wurden Kunststoffbrüche am seitlichen Teleskopgeschiebe, mangelnde Schienenstabilität und Anpassungen zur Verbesserung des Tragekomforts identifiziert[8]. Besonders die langfristigen Nebenwirkungen stellen eine erhebliche Herausforderung für den Erfolg der Zahnschienentherapie dar.

Monitoring und gezielte Anpassungen als Schlüssel zum Therapieerfolg

Die Unterkieferprotrusionsschiene ist die wichtigste Therapieoption für Patienten mit leichter- bis mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe, die eine Alternative zur CPAP-Maske suchen. Maßgefertigte Zahnschienen steigern nachweislich die Therapietreue, bleiben jedoch auf diese spezifische Patientengruppe beschränkt. Die kurzfristigen Nebenwirkungen sind in der Regel moderat und nehmen mit fortschreitender Behandlungsdauer ab, erfordern jedoch gelegentlich Anpassungen. Langfristig können dentoskelettale Veränderungen auftreten, wie aus einer französischen Studie hervorgeht[5]. Besonders hervorzuheben sind die Herausforderungen durch die Belastung der Kiefergelenke und technische Probleme, die bei über der Hälfte der Patienten auftreten können. Diese Erkenntnisse unterstreichen die Bedeutung einer sorgfältigen Auswahl und Überwachung der Schlafapnoe Patienten, um den langfristigen Therapieerfolg zu optimieren.

 

Anmerkungen:

[1] American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, Volume 187, Ausgabe 8, Apr. 2013, S. 879-887: Craig L. PhillipsRonald R. GrunsteinM. Ali DarendelilerAnastasia S. MihailidouVasantha K. SrinivasanBrendon J. YeeGuy B. MarksPeter A. Cistulli: „Health outcomes of continuous positive airway pressure versus oral appliance treatment for obstructive sleep apnea: a randomized controlled trial“

[2] S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen – Schlafbezogene Atmungsstörungen“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) In: AWMF online (Stand 23.12.2016), 3.1

[3] Respiratory Care, Volume 58, Ausgabe 7, Juli 2013, S. 1184-1195: Wenyang LiLin XiaoJing Hu: „The comparison of CPAP and oral appliances in treatment of patients with OSA: a systematic review and meta-analysis“

[4] CRANIO, Volume 37, Ausgabe 6, Nov. 2019, S. 347-364: Menghan ZhangYuehua LiuYuanshun LiuFengyang YuShaowen YanLulu ChenChenxing LvHaiping Lu: „Effectiveness of oral appliances versus continuous positive airway pressure in treatment of OSA patients: An updated meta-analysis“

[5] Clinical Oral Investigations, Volume 26, Ausgabe 1, Jan. 2022, S. 863-874: Nicolas BaldiniFrédéric GagnadouxWojciech TrzepizurNicole MeslierJulien DugasChloé Gerves-PinquieFrédérique Chouet-GirardJean-Daniel Kün-Darbois: „Long-term dentoskeletal side effects of mandibular advancement therapy in patients with obstructive sleep apnea: data from the Pays de la Loire sleep cohort“

[6] CRANIO, Volume 40, Ausgabe 2, März 2022, S. 97-106: Aoben ChenMaud S. BurgerMargriet A. W. J. Rietdijk-SmuldersFrank W. J. M. Smeenk: „Mandibular advancement device: Effectiveness and dental side effects. A real-life study“

[7] Cleveland Clinic: https://my.clevelandclinic.org/health/diseases/15066-temporomandibular-disorders-tmd-overview

 [8] The Angle Orthodontist, Volume 80, Ausgabe 1, Jan. 2010, S. 30-36: Jordi Martínez-GomisEva WillaertLluis NoguesMaribel PascualMaria SomozaCarmen Monasterio: „Five years of sleep apnea treatment with a mandibular advancement device. Side effects and technical complications“