Warum ist die erektile Dysfunktion ein häufiges Symptom der Schlafapnoe?

25. Januar 2022
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Die erektile Dysfunktion, also die fehlende oder gestörte Erektion des Penis bei sexueller Erregung, ist ein typisches und häufiges Symptom der Schlafapnoe. Potenzprobleme sind nach wie vor ein Tabuthema und aus falsch verstandenem Schamgefühl gehen die Betroffenen meist nicht zum Facharzt, um die Ursachen abklären zu lassen. Wie bei vielen Erkrankungen, liegen auch bei der erektilen Dysfunktion, im Volksmund auch Impotenz genannt, meistens mehrere verschiedene auslösende Faktoren vor. Grundsätzlich lassen sich jedoch die Ursachen von Erektionsstörungen in zwei unterschiedliche Kategorien einteilen: Es gibt zum einen die psychischen Ursachen und zum anderen die organischen Ursachen. Im Folgenden wird auf die Determinanten eingegangen, die typischerweise mit der Schlafapnoe im Zusammenhang stehen.

Wie verteilen sich die Wirkfaktoren bei Potenzstörungen?

Die organischen Ursachen der Impotenz sind deutlich überwiegend. Mit zunehmendem Alter spielen die organischen Faktoren eine immer größere Rolle[1]. Schätzungen gehen davon aus, dass ab 50 Jahren in etwa 80% der Fälle körperliche Ursachen vorliegen. Unabhängig vom Alter ist davon auszugehen, dass etwa bei der Hälfte aller Erektionsstörungen rein organische Wirkfaktoren vorherrschen. Bei circa einem Drittel soll eine psychogene Störung die Ursache sein und bei ungefähr 20% der Fälle spricht man von einer gemischt organischen und psychogenen Ursache. Bei den biologischen Ursachen überwiegen mit einem Anteil von etwa 45% die drei folgenden Erkrankungen: Diabetes mellitus („Zuckerkrankheit“), Arteriosklerose („Gefäßverkalkung“) und Gefäßanomalien[2]. Diabetes mellitus und die Arteriosklerose stellen dabei vielfach sekundäre Erkrankungen der obstruktiven Schlafapnoe dar. Im Blogbeitrag vom 28.06.2019 wird erklärt, warum Typ 2 Diabetes eine Folgeerkrankung der Schlafapnoe sein kann. Der Zusammenhang zwischen der Schlafapnoe und der Arteriosklerose wird im Blogbeitrag vom 13.07.2020 erörtert.

In welchem Umfang erhöht Schlafapnoe das Risiko für Erektionsstörungen?

Es ist wichtig zu betonen, dass Typ 2 Diabetes oder die Arteriosklerose, als auslösende Faktoren der Impotenz, auch unabhängig von der Schlafapnoe entstehen können. Folglich stellt sich die Frage, wie stark die Schlafapnoe das Risiko einer erektilen Dysfunktion tatsächlich erhöht. Hierzu liegt eine sehr klare Studien- und Evidenzlage vor: Eine im Frühjahr 2018 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „International Journal of Impotence Research“ veröffentlichte Metastudie belegte, dass das Risiko für erektile Dysfunktion bei Männern, die unter Schlafapnoe leiden, im Durchschnitt etwa 45% höher liegt, als bei Männern, die nicht von Schlafapnoe betroffen sind. In der Metaanalyse wurden die Daten von insgesamt 28 Einzelstudien ausgewertet. Als Grundlage dienten die Gesundheitsdaten von insgesamt mehr als 133.000 Patienten.

Schlafapnoe als primäre Ursache der erektilen Dysfunktion

Die Schlafapnoe kann jedoch auch die primäre Ursache einer Potenzstörung darstellen. Die nächtlichen Atempausen, welche die Schlafapnoe kennzeichnen, bewirken eine Mangelversorgung des Körpers mit Sauerstoff (intermittierende Hypoxie). Diese Minderversorgung mit Sauerstoff führt zum Zusammenziehen der glatten Muskulatur der Schwellkörper. Deren Funktion bei der Erektion des Penis wird dadurch stark beeinträchtigt. Darüber hinaus können die ständigen Weckreaktionen, die der Körper auslöst, um ein nächtliches Ersticken durch die Blockade der oberen Atemwege zu verhindern, den Hormonhaushalt durcheinanderbringen. Ein qualitativ und quantitativ hochwertiger Schlaf löst eine signifikante Erhöhung des Testosteronspiegels aus[3]. Testosteron ist das männliche Sexualhormon, das insbesondere den Sexualtrieb und die Maskulinität steuert. Beim gesunden Schlaf wird normalerweise genau die Menge von Testosteron sezerniert, so dass tagsüber ein optimales Level bis zum nächsten Zubettgehen zur Verfügung steht. Schlafapnoe beeinträchtigt diesen natürlichen Rhythmus: Apnoiker haben weniger REM-Schlaf (Traumschlaf), reduzierte Tiefschlafzeit, vermehrtes nächtliches Erwachen, Schlaffragmentierung und dadurch verminderte Schlafeffizienz. Die infolge der schlechten Schlafqualität hervorgerufene Tagesschläfrigkeit schwächt, in Verbindung mit dem Testosteronmangel, das sexuelle Verlangen der Betroffenen. Der Zusammenhang zwischen Schlafapnoe und Testosteronmangel ist durch eine Vielzahl von Studien eindeutig belegt[4-6].

Impotenz infolge eines Mangels an Stickstoffmonoxid

Die nächtlichen Atemaussetzer der Schlafapnoe verursachen eine ganze Reihe von entzündlichen und gefäßverändernden Reaktionen im Körper. Es werden verstärkt freie Radikale ausgeschüttet und die Funktion der Endothelzellen (spezialisierte, flache Zellen, die die Innenseite der Blutgefäße auskleiden) verändert sich. Dies hat unter anderem zur Folge, dass sich die Bioverfügbarkeit von Stickstoffmonoxid (NO) deutlich vermindert[7]. Das Endothel (dünne Schicht von Endothelzellen) ist in viele verschiedenste physiologische Prozesse eingebunden: Es produziert das Stickstoffmonoxid, welches der Regulation des Tonus der Gefäßmuskulatur im Herz-Kreislauf-System dient. Ein Stickstoffmonoxidmangel kann zu Störungen der sexuellen Leistungsfähigkeit führen. Eine Erektion setzt nämlich voraus, dass das Endothel in den Arterien der Schwellkörper innerhalb kurzer Zeit genügend Stickstoffmonoxid freisetzt, um über eine Erweiterung der Blutgefäße der Penisarterien die Schwellkörper mit Blut zu füllen[8]. Gelingt dies nicht, zeigen sich die typischen Folgen einer Potenzstörung.

Potenzprobleme als Folge von Medikamentennebenwirkungen

Unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten, die verbreitet zur Therapie der Sekundärerkrankungen der Schlafapnoe eingesetzt werden, können zu den Ursachen der erektilen Dysfunktion zählen. Der weit überwiegende Teil der Schlafapnoiker leidet unter (nächtlichem) Bluthochdruck. Er gilt als kennzeichnende Folgeerkrankung der Schlafapnoe. Im Blogbeitrag vom 16.12.2020 wird die Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen den nächtlichen Atemstörungen und dem chronisch erhöhten Blutdruck des arteriellen Gefäßsystems ausführlich beschrieben. In bestimmten Fällen verordnen Ärzte sogenannte Betablocker zur (symptomatischen) Therapie der Hypertonie (Bluthochdruck). Betablocker implizieren nicht selten die bekannte Nebenwirkung, dass sie die Libido negativ beeinträchtigen. Ähnlich verhält es sich mit Arzneimitteln, die Neuro-Blocker beinhalten. Diese finden sich in Antidepressiva, die zur Behandlung von Depressionen verwendet werden. Schlafapnoiker sind einem vielfach erhöhten Risiko ausgesetzt an einer depressiven Symptomatik zu erkranken. Der Beitrag vom 30.12.2019 informiert darüber, wie Schlafapnoe und Depressionen miteinander zusammenhängen.

Nächtlicher Stress als Auslöser einer Potenzstörung

Neben den organischen Ursachen der Impotenz gibt es, wie bereits beschrieben, auch psychische Ursachen. Hier sind insbesondere Wirkfaktoren wie Stress, Druck, Anspannung, Unsicherheit oder Angst zu nennen, die für eine Erektion hinderlich sind. Die Pathophysiologie ist durch die beiden Anteile des vegetativen Nervensystems zu erklären, über welche die meisten Organfunktionen gesteuert werden: Jeder Mensch verfügt über ein aktivierendes, das sympathische Nervensystem (Sympathikus), und ein entspannendes Nervensystem, den sogenannten Parasympathikus. Der Sympathikus wird immer dann aktiviert, wenn der Körper auf Kampf oder Flucht („fight-or-flight“) vorbereitet werden muss. Die Aktivierung des sympathischen Nervensystems verhindert somit das Entstehen einer Erektion[9]. Optimale Voraussetzungen für eine Erektion werden hingegen dann geschaffen, wenn es gelingt, den Parasympathikus zu mobilisieren. Eine spezifische Situation, in welcher der Parasympathikus vollständig aktiviert ist, liegt während der Traumphase (REM-Phase) im Schlaf vor. In der Traumschlafphase ist der Mensch körperlich und geistig tief entspannt, was letztlich auch erklärt, warum bei gesunden Männern durchschnittlich drei bis vier nächtliche Erektionsphasen bestehen. Hier schließt sich der Kreis zur Schlafapnoe: Die nächtlichen Atemstörungen triggern stets den Sympathikus, da der Betroffene einer enormen nächtlichen Stressbelastung ausgesetzt ist. Schließlich muss der Körper, durch permanente Aufweckreaktionen, gegen ein Ersticken im Schlaf ankämpfen.

CPAP als effektive Behandlungsform der erektilen Dysfunktion

Schlafapnoe ist überdurchschnittlich häufig mit Potenzstörungen verbunden. Liegt die Ursache der Erektionsprobleme an den nächtlichen Atemstörungen, dann sollte die konsequente Therapie der Schlafapnoe, üblicherweise mittels Überdruckbeatmung, das vorrangige Ziel sein. Eine Ende 2019 in der Fachzeitschrift „Sleep Medicine Reviews“ veröffentlichte Metastudie[10] bewies, dass CPAP (continuous positive airway pressure) insgesamt sehr positive Ergebnisse in der Therapie der erektilen Dysfunktion erzielte. In der Metastudie, die insgesamt 26 Einzelstudien auswertete, heißt es aus dem Englischen übersetzt: „Die Ergebnisse belegten, dass CPAP den internationalen Index der erektilen Funktion, die Gesamtzahl der erektilen Ereignisse und die nächtliche Penissteifigkeit signifikant verbesserte.“ Allerdings hat diese symptomatische Behandlungsform der Schlafapnoe zwei entscheidende Nachteile: Das Hilfsmittel ist nicht nur jede Nacht einzusetzen, sondern es führt überwiegend auch zu einer nicht unerheblichen Einschränkung des Schlafkomforts. Wer die lebenslange Abhängigkeit von diesem Hilfsmittel vermeiden möchte, kann mittels ursachenbezogener Therapie der Schlafapnoe  auch eine vollständige Heilung der Krankheit erreichen. Im Ergebnis zeigt sich dann nicht nur die vollständige Beseitigung der charakteristischen Schlafapnoesymptome, sondern insbesondere eine deutliche Steigerung der Lebensqualität durch das signifikant erhöhte Niveau der körperlichen und kognitiven Leistungsfähigkeit.

 

Anmerkungen:

[1] International Journal of Impotence Research, Volume 12, März 2001, S. 305-311: M BraunG WassmerT KlotzB ReifenrathM MathersU Engelmann: „Epidemiology of erectile dysfunction: results of the ´Cologne male Survey´“

[2] BDI Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten: https://www.internisten-im-netz.de/krankheiten/erektile-dysfunktion/ursachen/

[3] Journal of the American Medical Association, Volume 305, Ausgabe 21, Juni 2011, S. 2173-2174: Rachel LeproultEve Van Cauter: „Effect of 1 Week of Sleep Restriction on Testosterone Levels in Young Healthy Men“

[4] World Journal of Men‘s Health, Volume 37, Ausgabe 1, Jan. 2019, S.12-18: Sung Dong KimKyu Sup Cho: „Obstructive Sleep Apnea and Testosterone Deficiency“

[5] Sleep Medicine Clinics, Volume 11, Ausgabe 4, Dez. 2016, S. 525-529: Omar BurschtinJing Wang: „Testosterone Deficiency and Sleep Apnea“

[6] Andrology, Volume 10, Ausgabe 2, Feb. 2022, S. 223-231: Liang SuYu-Hang MengSi-Zheng ZhangYan CaoJian ZhuHua QuYong-Zheng Jiao: „Association between obstructive sleep apnea and male serum testosterone: A systematic review and meta-analysis“

[7] Sleep Disorders, Volume 2015, Article ID 387801, Mai 2015: Mohammad BadranSaeid GolbidiNajib AyasIsmail Laher: „Nitric Oxide Bioavailability in Obstructive Sleep Apnea: Interplay of Asymmetric Dimethylarginine and Free Radicals“

[8] Expert Opinion on Pharmacotherapy, Volume 2, Ausgabe 1, Jan. 2001, S. 95-107: J CartledgeS MinhasI Eardley: „The role of nitric oxide in penile erection“

[9] British Journal of Urology, Volume 64, Ausgabe 1, Juli 1989, S. 84-92: K P JünemannC Persson-JünemannT F LueE A TanaghoP Alken: „Neurophysiological aspects of penile erection: the role of the sympathetic nervous system“

[10] Sleep Medicine Reviews, Volume 48, Dez. 2019, 101217: Zeyan LiZhiqing FangNaidong XingShiqin ZhuYidong Fan: „The effect of CPAP and PDE5i on erectile function in men with obstructive sleep apnea and erectile dysfunction: A systematic review and meta-analysis“