Was ist von der iNAP-Therapie zu halten?

29. November 2022
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Als Goldstandard zur Therapie der obstruktiven Schlafapnoe gilt die CPAP-Behandlung (continuous positive airway pressure). Mittels Überdruckbeatmung werden die oberen Atemwege im Schlaf offengehalten, so dass sich die Anzahl schlafbezogener Atmungsstörungen (Atemaussetzer und Atemflussreduzierungen) sehr deutlich reduziert. Den exakt gegensätzlichen Therapieansatz verfolgt hingegen die iNAP-Therapie: Hier wird durch den Aufbau eines Unterdrucks eine Öffnung der oberen Atemwege angestrebt. iNAP ist die Abkürzung von „intermittent negative air pressure“, also „intermittierender negativer Luftdruck“.

Wie funktioniert die iNAP-Behandlung?

Die Anfänge von iNAP lagen bereits im Jahr 2011. In diesem Jahr gründete der Taiwanese Dr. Chung-Chu Chen, der selbst unter Schlafapnoe leidet, sein Unternehmen „Somnics Incorporated“. Dr. Chen konnte selbst nicht ausreichend wirksam mit CPAP therapieren und suchte deshalb nach einer einfacheren und verträglicheren Alternative. Seine Firma hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, Schlafapnoe Betroffenen, die nicht mit CPAP therapieren können (oder wollen), eine sichere und effiziente Alternative zur Überdruckbeatmung anzubieten[1].

Das iNAP-System besteht aus insgesamt nur 4 Komponenten: Einer Konsole in der Größe eines Smartphones, welche den Unterdruck aufbaut, einem Speichelbehälter, einem 90 cm langen Schlauch und einem Mundstück. Die Konsole, die etwa 200 Gramm wiegt, wird durch einen integrierten Akku betrieben. Nach Herstellerangaben versorgt die Batterie das Gerät für ca. 4 Nächte mit Strom. Über den Schlauch und das Mundstück wird in der Mundhöhle des Patienten ein Unterdruck erzeugt. Dieser negative Luftdruck soll die Zunge und den weichen Gaumen (auch Gaumensegel genannt) nach vorne ziehen, um so die oberen Atemwege freizuhalten. Die Konsole baut den negativen Druck nur dann erneut auf, wenn der Unterdruck im Mundraum abgesunken ist. Aus diesem Grund spricht man von intermittierendem Unterdruck.

Funktionsweise-iNAP-System-fuer-Blogbeitrag

Für wen ist die iNAP Therapie geeignet?

Die Behandlung mittels Unterdruck will die CPAP-Therapie nicht ersetzen, sondern vielmehr Patienten, die nicht oder nicht ausreichend suffizient mit der Überdruckbeatmung therapieren können, eine zusätzliche Option bieten. Der Hersteller postuliert, dass iNAP bei leicht-, mittel- bis schwergradiger Schlafapnoe geeignet sei. Der Atemstörungsindex Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) muss laut Somnics Inc. mindestens 5 pro Stunde betragen, darf jedoch einen Maximalwert von 55 pro Stunde nicht überschreiten[2]. Laut einer 2020 veröffentlichten Studie kommen insbesondere Patienten in Frage, deren zu schlaffes und/oder zu weiches Gaumensegel zu einer übermäßigen Kollapsibilität im Schlaf neigt. Auch eine verlängerte Zunge soll ein valider Prädiktor zur Vorhersage des Behandlungserfolgs sein[3]. Da der medizinische Laie die genannten Faktoren nicht beurteilen kann, bedarf es in jedem Fall der Untersuchung durch einen Schlafmediziner. Das iNAP-Gerät darf deshalb auch nur von einem Arzt verordnet werden. Eine weitere Determinante für eine erfolgreiche Therapie ist eine gute Nasenatmung. Während der iNAP-Behandlung muss der Mund geschlossen bleiben, so dass im Schlaf nur durch die Nase geatmet werden kann. Eine verkrümmte Nasenscheidewand oder vergrößerte Nasenmuscheln könnten die Nasenatmung derart stark beeinträchtigen, dass die iNAP-Therapie letztlich nicht mehr erfolgreich eingesetzt werden kann. Nur wenn eine ausreichend gute Nasenatmung gewährleistet ist, kann iNAP auch eine Alternative zur Überdruckbeatmung darstellen.

Welche Vorteile bietet iNAP im Vergleich zu CPAP?

Im Wesentlichen führt Somnics Inc. sechs Hauptvorteile an: Komfortprobleme, die typischerweise durch das Tragen einer CPAP-Maske entstehen können, entfallen bei iNAP, da die Therapieform ohne Maske auskommt. Die durchschnittliche Therapietreue von iNAP liegt daher ungleich höher, als bei der nächtlichen Überdruckbeatmung. Weitere Komfortpunkte sammelt das iNAP-System, da es im Vergleich zu einem CPAP-Gerät, noch geräuschärmer arbeitet. Darüber hinaus ermöglicht iNAP ein natürliches Atmen, da schließlich keine Luft in den Körper gedrückt wird. Beim Ausatmen muss folglich auch kein Gegendruck überwunden werden. Gerade dieser Umstand führt zu einer weiteren Verbesserung der Compliance im direkten Vergleich mit der CPAP-Therapie. Das iNAP-Gerät ist überdies sehr leicht, kompakt und reisetauglich. Besonders für den mobilen Einsatz beim Campen, bei einer Mehrtageswanderung oder auch für einen Langstreckenflug ist das Gerät prädestiniert. Zu guter Letzt kann die iNAP-Konsole völlig unabhängig vom Stromnetz verwendet werden, da sie von einem wiederaufladbaren Akku mit Energie versorgt wird.

Wie sieht die Studienlage zur iNAP-Therapie aus?

Die mit Abstand wichtigste Frage ist, wie effektiv die iNAP-Behandlung nächtliche Atemstörungen verhindern kann. Zur Beantwortung dieser Frage konnten lediglich 4 veröffentlichte Studien recherchiert werden (Stand 11/2022), die auch von unabhängigen Gutachtern aus dem gleichen Fachgebiet überprüft wurden[4-7]. In diesen 4 klinischen Studien wurden insgesamt nur 86 Schlafapnoe Patienten mit iNAP behandelt. Zum jetzigen Zeitpunkt kann daher die Studienlage nur als schwach bezeichnet werden. Es ist allerdings nichts ungewöhnliches, dass bei relativ neu am Markt eingeführten medizinischen Hilfsmitteln, zu Beginn nur wenige Studien mit geringer Evidenz vorliegen.

Zum Beweis der Wirksamkeit von iNAP führt der Hersteller eine im Frühjahr 2021 im Journal „Sleep Medicine“ veröffentlichte Referenzstudie an. Im Rahmen der Studie wurden 34 Schlafapnoe Patienten mit iNAP therapiert. Die Ergebnisse zeigten, dass die Behandlung mittels Unterdruck den durchschnittlichen AHI von 32/Stunde auf 8,7/Stunde verringern konnte, was einer Reduzierung von nahezu 73 Prozent entspricht[4]. Die Effektivität ist entsprechend als sehr gut zu bezeichnen. Es gilt allerdings zu berücksichtigen, dass die in der Studie eingeschlossenen Probanden vermutlich sehr gut vorselektiert waren. Es ist bei derartigen Referenzstudien üblich, nur die Patienten auszuwählen, von denen man auch mit hoher Wahrscheinlichkeit ein sehr gutes Ansprechen, auf die entsprechende Therapieform, erwarten kann. Tatsächlich bewiesen zwei andere publizierte Studien zur iNAP-Therapie deutlich schlechtere Wirksamkeitsdaten: Hier lagen die durchschnittlichen AHI-Reduzierungen lediglich zwischen 26 Prozent und 30 Prozent[5, 7]. Im Vergleich zur CPAP-Therapie sind diese Werte nur als ausreichend zu definieren.

In einer vierten klinischen Studie wurden insgesamt 35 Patienten mittels intermittierendem Unterdruck therapiert. Bei Patienten mit mittelgradiger Schlafapnoe (Ausgangs-AHI zwischen 15 und 30 pro Stunde) lag die sogenannte Ansprechrate bei 64 Prozent. Bei Patienten mit einem Body-Mass-Index unter 25 kg/m² (nicht übergewichtig) wurde eine Ansprechrate von 57 Prozent ermittelt[6]. Die Forscher der Studie definierten die Ansprechrate als mindestens 50-prozentige Verringerung des AHI gegenüber seinem Ausgangswert. Gleichzeitig musste der behandelte Apnoe-Hypopnoe-Index weniger als 20/Stunde betragen. Trotz der insgesamt schwachen Studienlage lässt sich eindeutig feststellen, dass die iNAP-Therapie, hinsichtlich der AHI-Reduzierung, erheblich weniger effektiv ist, als die CPAP-Therapie. Die nächtliche Überdruckbeatmung erzielt im Durchschnitt eine AHI-Verminderung von über 80 Prozent, wobei die Ergebnisse sehr heterogen ausfallen können[8]. Voraussetzung für eine erfolgreiche CPAP-Behandlung ist nämlich eine entsprechende Toleranz der Überdrucktherapie im Schlaf. Die Praxis zeigt, dass dieses Kriterium häufig nicht gegeben ist (siehe auch Blogbeitrag vom 24.02.2022).

Was kostet die iNAP-Behandlung?

Gesetzlich Krankenversicherte erhalten, aufgrund entsprechender Regelungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), keine Kostenübernahme für das iNAP-Schlaftherapiesystem. Laut Herstellerangaben liegt der Kaufpreis für das Therapiesystem bei ca. 1.500 Euro (Stand 11/2022). Privat Krankenversicherte sollten hingegen, auf Basis der geltenden Rechtslage, von ihrer Versicherung die Therapiekosten erstattet bekommen. Da sich der Behandlungserfolg nicht sicher vorhersagen lässt, bietet Somnics Inc. auch Testgeräte an, die für 12 Tage kostenpflichtig ausgeliehen werden können. Durch praktisches Ausprobieren lässt sich so herausfinden, ob sich der gewünschte Therapieerfolg einstellt.

Neben den einmaligen Anschaffungskosten sind grundsätzlich auch die laufenden Kosten einer Behandlung zu beachten. Laut Herstellerangaben müssen Mundstück und Schlauch alle 3 Monate gewechselt werden und der Speichelbehälter alle 6 Monate. Die sogenannten „Dry Pads“, also Filter, die in den Speichelbehälter eingelegt werden, bedürfen sogar eines täglichen Austauschs. Wer diese Herstellervorgaben befolgt, sollte mit jährlichen laufenden Kosten von etwa 500 Euro (Stand 11/2022) kalkulieren. Bei einer Behandlungsdauer von beispielsweise 25 Jahren summieren sich demnach Betriebskosten von über 12.500 Euro.

Fazit zur iNAP-Therapie

Wer die standardmäßig von Schlafmedizinern verordnete CPAP-Beatmung nicht toleriert und gleichzeitig über eine effiziente Nasenatmung verfügt, kann in der intermittierenden Unterdrucktherapie eine echte und vergleichsweise einfache Alternative finden. Es ist jedoch zu bedenken, dass der durchschnittliche Behandlungserfolg (Verringerung des Apnoe-Hypopnoe-Index) signifikant geringer ist, als bei der CPAP-Therapie. Darüber hinaus sollten die einmaligen und laufenden Kosten des iNAP-Systems bei der Therapieentscheidung berücksichtigt werden.

Besser die Ursache statt die Symptome behandeln

Es sollte beachtet werden, dass auch die intermittierende Unterdrucktherapie nicht mehr als eine Symptombehandlung darstellt. Die Ursache der obstruktiven Schlafapnoe liegt schließlich überwiegend in einer zu starken anatomischen Verengung der oberen Atemwege und nur sehr selten an einer besonders starken Kollapsneigung des Zungengrunds oder des weichen Gaumens. Das Zurückrutschen der Zunge im Schlaf (auch Weichgewebekollaps genannt) in den Rachenraum ist in der Regel nur der Auslöser für schlafbezogene Atmungsstörungen, nicht jedoch die eigentliche Ursache. Eine Einengung des Luftraums zwischen Zungengrund und Rachenhinterwand ist die Voraussetzung dafür, dass der stets im Schlaf einsetzende Weichteilgewebekollaps zur Blockade der Luftwege führen kann. In der Konsequenz lässt sich ausschließlich durch eine operative Erweiterung der oberen Atemwege eine dauerhafte Heilung von der Schlafapnoe erreichen. Sollte die ursachenbezogene Therapie medizinisch indiziert sein, kann den Schlafapnoe Betroffenen grundsätzlich empfohlen werden, diese einer Symptombehandlung wie CPAP oder iNAP vorzuziehen.

 

Anmerkungen:

[1] Somnics Inc.: https://www.somnics.com/about?lang=de

[2] Somnics Inc.: https://www.inapsleep.com/en/faqs/

[3] Sleep Medicine, Volume 72, August 2020, S. 20-27: Tzu-Chun HungTien-Jen LiuTsun-Min LuYing-Piao WangTing-Lin ChenChun-Chao HuangYu-Chia LaiChing-Lung LiuKuang-Hui Sun: “Building a model to precisely target the responders of a novel intermittent negative air pressure device-with mechanism definition”

[4] Sleep Medicine, Volume 81, Mai 2021, S. 163-168: Ching-Yuan Cheng, Chia-Chi Chen, Men-Tzung Lo, Christian Guilleminault, Chia-Mo Lin: „Evaluation of efficacy and safety of intraoral negative air pressure device in adults with obstructive sleep apnea in Taiwan“

[5] Journal of Sleep Disorders & Therapy, Volume 9, Ausgabe 5, 2020, No: 318: Yuji Yamaguchi: “The Effect of Intermittent Negative Air Pressure, iNAP® on Subjective Daytime Sleepiness in Middle-aged Patients with Moderate Obstructive Sleep Apnea”

[6] Sleep & Breathing, Volume 23, Ausgabe 3, Sept. 2019, S. 849-856: Tzu-Chun HungTien-Jen LiuWen-Yeh HsiehBo-Nien ChenWen-Ko SuKuang-Hui SunChristian Guilleminault: “A novel intermittent negative air pressure device ameliorates obstructive sleep apnea syndrome in adults”

  [7] Journal of Sleep Disorders & Therapy, Volume 6, Ausgabe 3, Juni 2017: Yuji Yamaguchi, Masako Kato: “Pilot Study of Oral Negative Pressure Therapy for Obstructive Sleep Apnea-Hypopnea Syndrome”

[8] New England Journal of Medicine, Volume 375, Ausgabe 10, Sept. 2016, S. 919-931: R Doug McEvoyNick A AnticEmma HeeleyYuanming LuoQiong OuXilong ZhangOlga MedianoRui ChenLuciano F DragerZhihong LiuGuofang ChenBaoliang DuNigel McArdleSutapa MukherjeeManjari TripathiLaurent BillotQiang LiGeraldo Lorenzi-FilhoFerran BarbeSusan RedlineJiguang WangHisatomi ArimaBruce NealDavid P WhiteRon R GrunsteinNanshan ZhongCraig S Anderson: „CPAP for Prevention of Cardiovascular Events in Obstructive Sleep Apnea“