Besser schlafen durch Sport? Wie sich Bewegung am Abend auf den Schlaf auswirkt

Sport und Schlaf

Regelmäßige körperliche Aktivität gilt als essenzieller Bestandteil eines gesunden Lebensstils. Zahlreiche Studien belegen die positiven Effekte von Sport auf das Herz-Kreislauf-System, den Stoffwechsel und die psychische Gesundheit[1]. Dennoch hält sich die weit verbreitete Annahme, dass sportliche Betätigung, insbesondere in den Abendstunden, die Schlafqualität negativ beeinflussen könne. Diese Vorstellung beruht auf der These, dass körperliche Anstrengung die Herzfrequenz sowie die Körperkerntemperatur erhöht und somit das Ein- bzw. Durchschlafen erschwert. Doch welche Evidenz liefern aktuelle wissenschaftliche Studien? Wirkt sich Sport am Abend tatsächlich nachteilig auf die Schlafqualität aus, oder kann er diese sogar verbessern? Der folgende Beitrag befasst sich mit den wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu dieser Thematik. Dabei wird erläutert, welche physiologischen Effekte Sport auf den Schlaf hat, welche Rolle die Tageszeit des Trainings spielt und ob die Sportintensität einen entscheidenden Einfluss nimmt.

Wie beeinflusst Sport den Schlaf? Wie sieht die aktuelle Studienlage aus?

Die Auswirkungen von sportlicher Betätigung auf die Schlafqualität sind Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Studien. Die verfügbaren Daten deuten darauf hin, dass körperliche Aktivität die Schlafqualität grundsätzlich steigert. Eine 2015 publizierte Metaanalyse, die 66 Einzelstudien auswertete, kommt zu dem Schluss, dass sowohl einzelne Trainingseinheiten als auch regelmäßige Bewegung die Gesamtschlafdauer, die Einschlafzeit und die Schlafqualität insgesamt verbessern können[2]. Bemerkenswert ist, dass bereits eine einzelne Sporteinheit messbare Vorteile bringt, wie zum Beispiel eine leichte Zunahme der langsamen Gehirnwellenaktivität, die für die erholsame Tiefschlafphase entscheidend ist. Noch deutlicher sind die Ergebnisse bei regelmäßigem Training: Wer über einen längeren Zeitraum hinweg Sport treibt, profitiert von einer spürbaren Verbesserung der Schlafdauer und -qualität. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um Kraft- oder Ausdauertraining handelt, und zu welcher Tageszeit das Training absolviert wird. Besonders stark profitieren dabei Personen, die zuvor wenig aktiv waren und unter Schlafproblemen litten. Die Studienautoren weisen jedoch darauf hin, dass die positiven Resultate nicht überbewertet werden sollten. Dennoch dürfen die meisten Sporttreibenden eine spürbare Verbesserung ihrer Schlafqualität erwarten.

Wie Sport das Einschlafen erleichtert: Die Rolle der Körpertemperatur

Ein zentraler Mechanismus, durch den Sport die Schlafqualität positiv beeinflusst, ist die Regulation der Körpertemperatur. Der menschliche Körper folgt einem natürlichen Temperaturzyklus, bei dem die Kerntemperatur am Abend absinkt. Dieser Vorgang wird als Thermoregulation bezeichnet und ist ein Signal für den Organismus, sich auf die bevorstehende Schlafphase vorzubereiten. Sportliche Betätigung führt zunächst zu einer Erwärmung, gefolgt von einer verstärkten Abkühlung nach dem Training. Dieser Ablauf unterstützt den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus und erleichtert das Einschlafen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die periphere Vasodilatation: Nach dem Sport weiten sich die Blutgefäße in Haut, Händen und Füßen, wodurch Wärme effizienter an die Umgebung abgegeben wird. Die daraus resultierende Senkung der Körperkerntemperatur verlangsamt den Stoffwechsel, reduziert die Herzfrequenz und senkt den Blutdruck – alles physiologische Prozesse, die eine tiefere Entspannung und einen besseren Schlaf begünstigen. Zudem konnte in Studien nachgewiesen werden, dass ein schneller Temperaturabfall nach körperlicher Aktivität die Einschlafzeit verkürzen und die Tiefschlafphasen verlängern kann[3]. Interessanterweise benötigen Personen mit kühleren Händen und Füßen tendenziell länger zum Einschlafen, was die Bedeutung der Wärmeabgabe für den Schlafbeginn unterstreicht.

Wie die Zytokinausschüttung durch Sport den Schlaf fördert

Körperliche Anstrengung während des Sports stimuliert die Ausschüttung von Zytokinen wie Interleukin-6 (IL-6) und Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), die eine Schlüsselrolle in der Immunabwehr spielen. Diese entzündungsregulierenden Proteine fördern insbesondere den Non-REM-Schlaf, der für die körperliche Regeneration von großer Bedeutung ist. Gleichzeitig begünstigt die durch sportliche Betätigung angeregte Freisetzung von Wachstumshormonen während der Tiefschlafphase die Muskelerholung sowie den Energiestoffwechsel[4]. Zudem deuten wissenschaftliche Erkenntnisse darauf hin, dass eine erhöhte Zytokinaktivität nach dem Training die Produktion von Melatonin anregt. Dieses Hormon fungiert als zentraler Regulator des Schlaf-Wach-Rhythmus. Es verkürzt die Einschlafzeit und unterstützt eine stabilere sowie erholsamere Nachtruhe (vgl. Blogbeitrag vom 04.05.2021). In Kombination mit weiteren physiologischen Anpassungen trägt dieser Mechanismus dazu bei, dass regelmäßige körperliche Aktivität die Schlafqualität langfristig optimiert.

Wie Sport das Gehirn stärkt und den Tiefschlaf verlängert

Neben Zytokinen und Wachstumshormonen wird beim Sport auch der sogenannte Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF) vermehrt ausgeschüttet. BDNF ist ein Protein, das die Neubildung von Nervenzellen und synaptischen Verbindungen fördert. Dieses Eiweiß spielt demnach eine sehr bedeutsame Rolle für die Plastizität und Funktionsfähigkeit des Gehirns. In Tierversuchen konnte eine Steigerung des Non-REM-Schlafs bei Ratten und Kaninchen nachgewiesen werden, die durch BDNF-Injektionen verursacht wurde. Im Gegensatz dazu ging ein Mangel an BDNF mit fragmentiertem Schlaf und kürzeren Tiefschlafphasen einher[5]. Des Weiteren konnte in klinischen Studien nachgewiesen werden, dass niedrige BDNF-Spiegel bei Insomnie-Patienten mit einer verringerten Aktivität langsamer Gehirnwellen (Slow-Wave-Activity) während des Tiefschlafs sowie einer eingeschränkten Schlafkontinuität assoziiert sind. Umgekehrt stabilisieren höhere BDNF-Werte den Schlaf-Wach-Rhythmus, indem sie die Stressresistenz anheben und die synaptische Plastizität während des Schlafs verstärken[6]. Die durch körperliche Aktivität angeregte BDNF-Produktion trägt somit dazu bei, die Tiefschlafanteile auszuweiten. Darüber hinaus unterstützt BDNF die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten, was darauf hinweist, dass erholsamer Schlaf für den menschlichen Organismus von sehr großer Bedeutung ist.

Der Einfluss des Energieverbrauchs beim Sport auf die nächtliche Erholung

Moderate bis intensive Bewegung führt zu einer zunehmenden Stoffwechselaktivität und damit zu einem höheren Energieumsatz, was den Erholungsbedarf des Organismus deutlich ansteigen lässt. Gleichzeitig bewirkt die körperliche Ermüdung eine Stimulierung des parasympathischen Nervensystems, das für Ruhe und Regeneration zuständig ist. Die Aktivierung des Parasympathikus senkt die Herzfrequenz, reduziert die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol und unterstützt die Bildung schlaffördernder Neurotransmitter, allen voran Serotonin und Melatonin[7]. Diese biochemischen Prozesse erleichtern das Ein- und Durchschlafen und tragen zu einer längeren, ungestörten Nachtruhe bei. Der durch Sport bedingte Kalorienverbrauch wirkt somit wie ein natürlicher Schlafverstärker, da er den Organismus zur Ruhe kommen lässt und ihn gleichzeitig auf eine tiefere Regenerationsphase vorbereitet.

Warum Sport die Psyche stärkt und besser schlafen lässt

 Körperliche Aktivität entfaltet ihre Wirkung nicht nur auf der physiologischen Ebene, sondern beeinflusst auch das zentrale Nervensystem – besonders im Hinblick auf die Regulation von Stress und emotionaler Balance. Während der Belastungsphase wird zunächst ein Anstieg des Cortisolspiegels verzeichnet, doch bereits kurz nach dem Training setzt ein umgekehrter Effekt ein. Die Konzentration des Stresshormons sinkt erheblich, was zu einer nachhaltigen Verminderung des Stressempfindens beiträgt. Gleichzeitig werden verstärkt Endorphine freigesetzt, das heißt, körpereigene Botenstoffe, die eine euphorisierende Wirkung haben und als natürliche Schmerzmittel fungieren. Diese neurochemische Reaktion ist für das häufig beschriebene Gefühl innerer Zufriedenheit und Entspannung nach dem Sport verantwortlich. Regelmäßige Bewegung verbessert die Stimmungslage, steigert das psychische Wohlbefinden und kann depressive Symptome wirksam lindern. Untersuchungen zufolge kann körperliches Training bei leichten bis mittelschweren Depressionen eine ähnlich große Wirkung erzielen wie pharmakologische Therapien, jedoch ohne deren unerwünschte Nebenwirkungen[8]. Dieser stimmungsaufhellende Effekt trägt indirekt dazu bei, dass Betroffene abends besser zur Ruhe kommen und einen erholsameren Schlaf finden.

Warum Sport bei Tageslicht den Schlaf verbessert

Die Schlafqualität wird zusätzlich verbessert, wenn Sport im Freien ausgeübt wird, idealerweise bei Tageslicht. Denn die natürliche Lichtexposition ist der stärkste Taktgeber für die innere Uhr und trägt maßgeblich zur Stabilisierung des zirkadianen Rhythmus bei. Die Stimulation spezifischer Fotorezeptoren in der Netzhaut steuert die Ausschüttung des Hormons Melatonin, welches für die Synchronisation des Tag-Nacht-Rhythmus verantwortlich ist und somit das Ein- und Durchschlafen erleichtert[9]. Vor allem in den Wintermonaten kann regelmäßige Bewegung an der frischen Luft einem drohenden Lichtmangel entgegenwirken und Schlafstörungen wirksam vorbeugen. Hinzu kommt der psychologische Nutzen: Wer sich sportlich betätigt, insbesondere draußen, erlebt häufig ein gesteigertes Gefühl von Selbstwirksamkeit und innerer Zufriedenheit. Das Bewusstsein, einen aktiven Beitrag zur eigenen Gesundheitsförderung geleistet zu haben, wirkt sich positiv auf die emotionale Verfassung aus und dämpft abendliche Grübeleien. Das Empfinden von Kontrolle und Erfüllung schafft ein mentales Ruhegefühl, in dessen Folge beim Einschlafen störende Gedankenkarusselle nicht mehr auftreten.

Tiefschlaf profitiert von moderater Abendaktivität

Die oft verbreitete Warnung vor abendlichem Sport lässt sich aus wissenschaftlicher Perspektive nicht bestätigen. Eine im Jahr 2019 veröffentlichte Metaanalyse der ETH Zürich, erschienen in der Fachzeitschrift „Sports Medicine“, analysierte 23 Einzelstudien zum Einfluss von abendlichem Sport auf die Schlafqualität. Die Ergebnisse dieser systematischen Auswertung zeigen eindeutig, dass körperliche Aktivität am Abend die Schlafqualität in der Regel nicht beeinträchtigt, sofern das Training nicht zu spät am Abend und nicht zu intensiv erfolgt.

Die Studienautoren fanden vielmehr Hinweise auf einen leicht positiven Effekt abendlicher Bewegung auf die Schlafarchitektur. So verbrachten sportlich aktive Personen nach dem Training im Durchschnitt mehr Zeit in der erholsamen Tiefschlafphase: Im Mittel lag der Anteil bei 21,2 % der Gesamtschlafzeit, verglichen mit 19,9 % bei Personen ohne abendliche Betätigung[10]. Obwohl dieser Unterschied geringfügig erscheint, ist er aus chronobiologischer Sicht von Bedeutung und deutet auf eine tiefere nächtliche Erholung hin.

Lediglich bei sehr intensiven Belastungen, wie beispielsweise einer maximalen Ausdauerbelastung innerhalb einer Stunde vor dem Schlafengehen, konnte eine leicht verlängerte Einschlafzeit sowie eine verminderte Schlafeffizienz beobachtet werden. Die einstmals weit verbreitete Empfehlung, abends grundsätzlich keinen Sport zu treiben, gilt daher als überholt.

Bewegung als schlaffördernder Lebensstilfaktor

Regelmäßige körperliche Aktivität verbessert die Schlafqualität, indem sie die Schlafdauer verlängert, die Einschlafzeit verkürzt und den Erholungseffekt fördert. Diese positiven Effekte werden durch die Regulation der Körpertemperatur, die Ausschüttung schlaffördernder Substanzen und die Reduktion von Stress unterstützt. Entgegen der Annahme, dass Sport am Abend schädlich ist, zeigen Studien, dass moderate abendliche Aktivität den Schlaf nicht beeinträchtigt, sondern sogar die Tiefschlafphasen verlängern kann. Lediglich intensive Belastungen kurz vor dem Schlafengehen sollten vermieden werden. Sport, auch am Abend, ist somit ein effektiver Weg zu einem gesunden Schlaf.

 

Anmerkungen:

[1] Bundesinstitut für Sportwissenschaft: https://www.publikationen-bundesregierung.de/pp-de/publikationssuche/der-beitrag-des-sports-zur-erfuellung-der-who-empfehlungen-fuer-koerperliche-aktivitaet-1739718

[2] Journal of Behavioral Medicine, Volume 38, Ausgabe 3, Juni 2015, S. 427-449: M. Alexandra Kredlow, Michelle C. Capozzoli, Bridget A. Hearon, Amanda W. Calkins, Michael W. Otto: „The effects of physical activity on sleep: a meta-analytic review“

[3] Sleep, Volume 6, Ausgabe 1, Sept. 1983, S. 36-46: J. A. Horne, L. H. Staff: „Exercise and sleep: body-heating effects“

[4] Journal of Physiology, Volume 546, Ausgabe 1, Jan. 2003, S. 299-305: Jørn W. Helge, Bente Stallknecht, Bente Klarlund Pedersen, Henrik Galbo, Bente Kiens, Erik A. Richter: „The effect of graded exercise on IL-6 release and glucose uptake in human skeletal muscle“

[5] American Journal of Physiology, Volume 276, Ausgabe 5, Mai 1999, S. R1334-R1338: T. Kushikata, J. Fang, J. M. Krueger: „Brain-derived neurotrophic factor enhances spontaneous sleep in rats and rabbits“

[6] Molecular Metabolism, Volume 42, Dez. 2020, 101096: Xiao Tan, Lieve T. van Egmond, Jonathan Cedernaes, Christian Benedict: „The role of exercise-induced peripheral factors in sleep regulation“

[7] Deutsche Sporthochschule Köln: https://www.dshs-koeln.de/universitaere-weiterbildung/aktuelles-wissenswertes/blog-news/blog/herzratenvariabilitaet-was-ist-das-und-warum-ist-sie-wichtig-im-sport-und-gesundheitsmanagement/

[8] British Journal of Sports Medicine, Volume 57, Ausgabe 18, Sept. 2023, S. 1203-1209: Ben Singh, Timothy Olds, Rachel Curtis, Dorothea Dumuid, Rosa Virgara, Amanda Watson, Kimberley Szeto, Edward O’Connor, Ty Ferguson, Emily Eglitis, Aaron Miatke, Catherine Em Simpson, Carol Maher: „Effectiveness of physical activity interventions for improving depression, anxiety and distress: an overview of systematic reviews“

[9] Science, Volume 284, Ausgabe 5423, Juni 1999, S. 2177-2181: C. A. Czeisler, J. F. Duffy, T. L. Shanahan, E. N. Brown, J. F. Mitchell, D. W. Rimmer, J. M. Ronda, E. J. Silva, J. S. Allan, J. S. Emens, D. J. Dijk, R. E. Kronauer: „Stability, precision, and near-24-hour period of the human circadian pacemaker“

[10] Sports Medicine, Volume 49, Ausgabe 2, Feb. 2019, S. 269-287: Jan Stutz, Remo Eiholzer, Christina M. Spengler: „Effects of Evening Exercise on Sleep in Healthy Participants: A Systematic Review and Meta-Analysis“