Während die gesundheitlichen Risiken von Schlafmangel inzwischen gut erforscht und einer breiten Öffentlichkeit bekannt sind, wird die gegenteilige Fragestellung bislang nur selten thematisiert: Welche Auswirkungen hat es, wenn der Mensch über einen längeren Zeitraum zu lange schläft? Längere Schlafphasen werden in der Regel mit verbesserter Erholung oder einem gesunden Lebensstil assoziiert. Allerdings mehren sich die Hinweise, dass auch ein Übermaß an Schlaf mit gesundheitlichen Nachteilen verbunden sein kann. Zudem bleibt unklar, ab wann von einem „Zuviel“ an Schlaf gesprochen werden muss und nach welchen Kriterien diese Grenze zu ziehen ist. Des Weiteren stellt sich die Frage, wie sich überlange Schlafzeiten auf die körperliche und geistige Gesundheit auswirken. Der folgende Beitrag geht diesen Fragen nach und gibt einen Überblick über die bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Langschläfer oder krankhaftes Schlafverhalten? Eine begriffliche Abgrenzung
Das Schlafbedürfnis ist bei jedem Menschen individuell unterschiedlich ausgeprägt. Faktoren wie Alter, Lebensstil sowie physische und psychische Gesundheitsfaktoren üben starken Einfluss auf die Dauer des Nachtschlafs aus. Kinder und Jugendliche benötigen beispielsweise deutlich mehr Schlaf, während ältere Menschen oft mit weniger auskommen, ohne dadurch gesundheitliche Nachteile befürchten zu müssen.
Die erforderliche Schlafmenge unterliegt zudem einer genetischen Prädisposition. So benötigen bestimmte Menschen, die als „Langschläfer“ bezeichnet werden, von Natur aus mehr Schlaf, um sich ausreichend leistungsfähig zu fühlen. In dieser Gruppe kann die individuelle Schlafdauer über neun Stunden betragen, ohne dass dies als ungesund einzustufen wäre. Aus medizinischer Perspektive wird jedoch erst ab einer Nachtruhe von regelmäßig über neun bis zehn Stunden pro Tag von einer kritischen Grenze gesprochen, sofern keine erkennbaren Ursachen wie Schlafmangel, Schichtarbeit oder akute Erkrankungen vorliegen[1].
In diesem Zusammenhang wird häufig auch der Begriff der Hypersomnie verwendet. Hierbei handelt es sich um eine krankhafte Tagesschläfrigkeit, die nicht allein durch verlängerte Schlafzeiten definiert wird. Eine Hypersomnie liegt nur dann vor, wenn übermäßig langer Schlaf mit weiteren Symptomen wie Konzentrationsstörungen oder verminderter Leistungsfähigkeit einhergeht. Um eine Unterscheidung zwischen einem gesunden Langschlaf und einem potenziell krankhaften Schlafverhalten treffen zu können, müssen daher sowohl die Schlafdauer als auch deren Kontext und etwaige Begleitsymptome berücksichtigt werden.
Langschlaf und Lebenserwartung: Erkenntnisse aus einer Langzeitstudie
Einen signifikanten Beitrag zur Frage nach den gesundheitlichen Auswirkungen überlanger Schlafphasen liefert eine schwedische Langzeitstudie, die 2018 im „Journal of Sleep Research“ veröffentlicht wurde. Grundlage der Untersuchung bildeten die Daten von mehr als 38.000 Erwachsenen, die im Jahr 1997 an einer landesweiten Gesundheitsbefragung teilgenommen hatten. Die Studienteilnehmer machten im Rahmen eines 36-seitigen Fragebogens unter anderem Angaben zu ihrer Schlafdauer, ihrem Lebensstil und ihrer Krankengeschichte. Über einen Zeitraum von 13 Jahren wurde ihre Sterblichkeit mithilfe des nationalen schwedischen Sterberegisters erfasst und ausgewertet. In die Datenanalyse flossen zudem weitere Einflussfaktoren wie Geschlecht, Body-Mass-Index, Tabak- und Alkoholkonsum, körperliche Aktivität sowie Schichtarbeit ein.
Die Ergebnisse zeigten einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Schlafdauer und Mortalität. Sowohl zu wenig als auch zu viel Schlaf waren mit einem erhöhten Sterberisiko assoziiert. In der Gruppe der Personen, die dauerhaft mehr als acht Stunden pro Nacht schliefen, lag die Mortalitätsrate um 25 Prozent höher als in der Vergleichsgruppe mit mittlerer Schlafdauer. Die Autoren der Studie vermuten, dass ein chronisch erhöhter Schlafbedarf weniger die Ursache, sondern vielmehr ein Hinweis auf zugrunde liegende gesundheitliche Probleme sein könnte. Bei guter Gesundheit und ungestörtem Nachtschlaf sei der Organismus in der Lage, nach ausreichender Erholung von selbst aufzuwachen.
Querschnittsanalyse zeigt gesundheitliche Risiken bei Langschläfern
Eine im Jahr 2014 publizierte Studie der Sorbonne-Universität in Paris beleuchtete ebenfalls die gesundheitlichen Folgen überlanger Schlafzeiten. Eine repräsentative Querschnittsanalyse von 24.671 Personen aus Frankreich ergab, dass sogenannte „Langschläfer“ (Personen mit einer durchschnittlichen Schlafdauer von über zehn Stunden pro Tag) signifikant häufiger unter psychiatrischen Erkrankungen litten und einen höheren Body-Mass-Index (BMI) aufwiesen als die allgemeine Bevölkerung[2]. Es ist bemerkenswert, dass Langschlaf überdurchschnittlich häufig bei sehr jungen sowie älteren Menschen ohne akademischen Abschluss und mit überwiegend körperlich geprägten Berufen beobachtet wurde. Dieser Zusammenhang legt nahe, dass soziale und psychische Einflussfaktoren beim übermäßigen Schlafverhalten eine relevante Bedeutung haben könnten. Die Studienautoren betonen allerdings, dass es sich um eine Querschnittsuntersuchung handelt, aus der keine direkten Kausalzusammenhänge abgeleitet werden können.
Wie zu langer Schlaf das geistige Leistungsvermögen beeinflusst
Ein übermäßig langer Schlaf kann sich nicht nur auf die psychische Gesundheit auswirken, sondern auch die kognitive Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Dieser Zusammenhang wurde von einem kanadischen Forschungsteam im Rahmen einer Studie untersucht, die Ende 2018 in der Fachzeitschrift „Sleep“ veröffentlicht wurde. Anhand der Daten von über 10.000 Erwachsenen ermittelten die Wissenschaftler den Einfluss der Schlafdauer auf unterschiedliche geistige Funktionen. Die Auswertung ergab, dass sowohl zu wenig als auch zu viel Schlaf mit kognitiven Einbußen assoziiert war. Die Forscher identifizierten einen Bereich zwischen rund sieben und acht Stunden pro Nacht als optimale Schlafdauer für eine bestmögliche zerebrale Gesamtleistung. Personen, die regelmäßig deutlich über diesem Wert lagen (konkret: mehr als 2,76 Stunden), wiesen insbesondere Defizite in den Bereichen Problemlösungsfähigkeit, logisches Denken und Kommunikationsvermögen auf. Die Autoren der Studie führen diese Beeinträchtigungen auf eine verstärkte und länger anhaltende Schlafträgheit zurück. Diese Störung tritt bei Langschläfern vermehrt auf und kann zu einer spürbaren geistigen Minderleistung nach dem Aufwachen führen[3].
Warum die Balance aus Schlafdauer und Schlafqualität entscheidend ist
Die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse legen nahe, dass sowohl Schlafmangel als auch übermäßig lange Schlafzeiten mit gesundheitlichen Nachteilen verbunden sein können. Ein dauerhaft erhöhter Schlafbedarf korreliert sowohl mit einem erhöhten Sterberisiko als auch mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen. Eine ausgedehnte Nachtruhe ist nicht per se als krankhaft zu bewerten. Vielmehr kommt es auf die individuelle Schlafbalance an, die sowohl genetisch als auch durch Lebensumstände und Gesundheitsfaktoren geprägt wird.
Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig zielführend, die Schlafdauer als alleiniges Kriterium für die Bewertung der Schlafqualität heranzuziehen. Maßgeblich ist, ob der Schlaf als erholsam empfunden wird und eine tragfähige Grundlage für körperliches Wohlbefinden und geistiges Leistungsvermögen schafft. Die Qualität des Schlafs wird primär vom Anteil der beiden erholsamen Schlafphasen, Tiefschlaf und REM-Schlaf (Rapid Eye Movement), bestimmt (vgl. Blogbeitrag vom 16.08.2023). Sie sind von zentraler Bedeutung für die körperliche Regeneration, die emotionale Stabilisierung sowie die kognitive Verarbeitung und Gedächtnisbildung.
Wer regelmäßig nicht erholt aufwacht, sollte daher nicht allein die Dauer der Nachtruhe hinterfragen, sondern kritisch prüfen, ob grundlegende Regeln der Schlafhygiene (vgl. Blogbeitrag vom 19.03.2019) konsequent eingehalten werden. Gerade die disziplinierte Umsetzung dieser Empfehlungen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Schlaf nicht nur ausreichend lang, sondern auch von hoher Qualität ist.
Anmerkungen:
[1] Cardiopraxis Düsseldorf: https://www.cardiopraxis.de/schlafdauer-und-schlafqualitaet-fuer-ein-gesundes-leben/
[2] PLoS One, Volume 9, Ausgabe 9, Sept. 2014, e106950: Damien Léger, François Beck, Jean-Baptiste Richard, Fabien Sauvet, Brice Faraut: „The risks of sleeping „too much“. Survey of a National Representative Sample of 24671 adults (INPES health barometer)“
[3] Nature and Science of Sleep, Volume 11, Aug. 2019, S. 155-165: Cassie J. Hilditch, Andrew W. McHill: „Sleep inertia: current insights“