Obstruktive Schlafapnoe beeinträchtigt nicht nur die nächtliche Atmung und den Sauerstoffgehalt im Blut, sondern hat auch Einfluss auf den Stoffwechsel. Durch wiederholte Atemaussetzer in der Nacht kommt es zu einer chronischen Unterversorgung des Körpergewebes mit Sauerstoff (Hypoxie), was die Fähigkeit zur Kalorienverbrennung deutlich mindert und langfristig eine Gewichtszunahme begünstigt (vgl. Blogbeitrag vom 02.05.2019). Weniger bekannt ist hingegen, dass der durch Schlafapnoe gestörte und wenig erholsame Schlaf auch das Essverhalten maßgeblich beeinflussen kann. Die Erkrankung verändert die Ausschüttung jener Hormone, die für Hunger und Sättigung zuständig sind. Als Konsequenz entwickeln Betroffene ein gesteigertes Verlangen nach kalorienreicher Nahrung[1]. Die erhöhte Kalorienaufnahme trägt wiederum zum Gewichtsanstieg bei und verschärft die Symptome der Schlafapnoe, was zu einem Teufelskreis führt. Für die Betroffenen ist es daher entscheidend, die Zusammenhänge zwischen nächtlichen Atemstörungen und verändertem Ernährungsverhalten zu verstehen. Der folgende Beitrag analysiert die hormonellen Mechanismen, über die Schlafapnoe den Appetit verändert und damit indirekt auch die Therapiechancen bestimmt.
Wie gesunder Schlaf den Appetit steuert
Im Rahmen eines normalen, erholsamen Schlafs befindet sich die hormonelle Appetitregulation im Gleichgewicht. Zwei zentrale Botenstoffe steuern dabei maßgeblich das Hungergefühl und das Sättigungsempfinden: Ghrelin und Leptin. Ghrelin, das primär im Magen gebildet wird, regt den Appetit an, während das im Fettgewebe produzierte Leptin dem Gehirn signalisiert, dass ausreichend Energie aufgenommen wurde. Beide Hormone beeinflussen den Hypothalamus, der als übergeordnete Steuerungsinstanz für das Essverhalten fungiert. Bei ungestörtem Schlaf gewährleistet dieses fein abgestimmte Zusammenspiel, dass das Verlangen nach Nahrung dem tatsächlichen Energiebedarf entspricht. Gesunder Schlaf gilt somit als wichtiger Schutzmechanismus zur Vermeidung übermäßiger Kalorienzufuhr. Er stellt sicher, dass nachts der Leptinspiegel ansteigt, während das appetitanregende Hormon Ghrelin abgesenkt wird. Dadurch wird das Hungergefühl unterdrückt, sodass der Körper die Nacht durchschlafen kann, ohne durch Appetit geweckt zu werden.
Auswirkungen der Schlafapnoe auf den Hormonhaushalt
Bei Menschen mit obstruktiver Schlafapnoe ist das empfindliche hormonelle Gleichgewicht, das den Appetit reguliert, nachweislich gestört. Die mit der Erkrankung assoziierten nächtlichen Weckreaktionen (Arousals) bewirken eine Fragmentierung des Schlafs und mindern dessen Erholsamkeit. Studien belegen, dass der damit einhergehende Schlafmangel einen deutlichen Rückgang des sättigungsfördernden Hormons Leptin zur Folge hat, während der Spiegel des appetitanregenden Hormons Ghrelin signifikant ansteigt[2,3]. Diese hormonelle Verschiebung bedingt ein gesteigertes Hungergefühl, insbesondere auf kalorienreiche und energiedichte Lebensmittel. Die wiederholten Arousals unterbrechen die Schlafkontinuität und gelten als zentraler Auslöser der genannten endokrinen Veränderungen. Je häufiger derartige Weckreaktionen auftreten, desto ausgeprägter ist die hormonelle Dysregulation. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen zudem eine klare Korrelation zwischen dem Schweregrad der Schlafapnoe, gemessen am Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI), und der Intensität der hormonellen Abweichungen[4]. Mit zunehmendem AHI vergrößern sich die Anomalien in der Ghrelin- und Leptin-Ausschüttung. Langfristig lässt dies das Risiko für hyperkalorische Ernährung und Gewichtszunahme ansteigen.
Wie Schlafmangel die Selbstkontrolle schwächt
Die durch Schlafapnoe ausgelösten nächtlichen Weckreaktionen aktivieren das sympathische Nervensystem und rufen eine vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen (allen voran Cortisol) hervor. Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel potenziert nicht nur das allgemeine Hungergefühl, sondern vergrößert auch das Verlangen nach sogenannten Belohnungsnahrungsmitteln, also fett- und zuckerreichen Lebensmitteln[5]. In der Fachliteratur wird dieses Phänomen als hedonischer Hunger bezeichnet[6]. Es handelt sich dabei um eine Form des Essverhaltens, die weniger dem physiologischen Energiebedarf als vielmehr dem emotionalen Bedürfnis nach kurzfristiger Belohnung folgt.
Zugleich reagiert bei chronischem Schlafmangel das dopaminerge Belohnungssystem im Gehirn deutlich sensibler auf Essensreize[7]. Bereits der Anblick oder der Geruch kalorienreicher Snacks aktiviert die gleichen Hirnregionen, die auch durch suchtauslösende Substanzen stimuliert werden[8]. Obwohl die Kalorienaufnahme objektiv ausreichend ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, impulsiv zu essen. Parallel dazu sind die exekutiven Funktionen im präfrontalen Kortex, also jene Hirnareale, die für Impulskontrolle, rationales Handeln und das Verfolgen langfristiger Ziele zuständig sind, durch die Schlafstörung deutlich eingeschränkt. Obwohl den Betroffenen bewusst ist, dass sie besser auf den Verzehr süßer oder salziger Snacks verzichten sollten, fällt es ihnen zunehmend schwer, diesem Impuls zu widerstehen. Schlafmangel untergräbt demnach die Selbstkontrolle und intensiviert emotionale Essmuster. Dies ist ein weiterer Prozess, über den die obstruktive Schlafapnoe indirekt zur Gewichtserhöhung beitragen kann.
Wechselseitige Verstärkung von Schlafstörung, Heißhunger und Übergewicht
Hormonelle Abweichungen und eine verminderte Impulskontrolle infolge der Schlafapnoe verändern auch die Nahrungsmittelpräferenzen. Betroffene entwickeln eine ausgeprägte Vorliebe für stark verarbeitete, kohlenhydratreiche und energiedichte Lebensmittel. Die vermehrte Zufuhr von Kalorien, insbesondere in den Abend- und Nachtstunden, resultiert nicht nur in einer raschen Gewichtszunahme, sondern fördert zudem die Entwicklung einer Insulinresistenz, welche eine Vorstufe des Typ 2 Diabetes darstellt[9]. In Verbindung mit weiteren Risikofaktoren wie Hypertonie (Bluthochdruck) oder gestörtem Fettstoffwechsel kann sich sukzessive ein metabolisches Syndrom ausbilden, das die körperliche Regeneration zusätzlich erschwert. Das zunehmende Körpergewicht verschärft wiederum anatomische Engstellen im Bereich der oberen Atemwege, da sich Fettdepots unter anderem im Rachen einlagern. In der Konsequenz ist ein Anstieg der Anzahl nächtlicher Atemstörungen zu verzeichnen. Dieser fatale Kreislauf aus Schlafstörung, hormoneller Dysregulation, Heißhunger und Gewichtsanstieg verstärkt sich gegenseitig und erschwert sowohl die Diagnostik als auch die Therapie der Schlafapnoe in erheblichem Umfang.
Wie sich dauerhaft gestörter Schlaf auf das Körpergewicht auswirkt
Die hormonellen Fehlsteuerungen, die infolge einer obstruktiven Schlafapnoe auftreten, haben konkrete Auswirkungen auf das tägliche Essverhalten. Eine Metaanalyse des renommierten King’s College London aus dem Jahr 2016 liefert hierzu aufschlussreiche Daten: Die Auswertung von elf Interventionsstudien mit insgesamt 172 Teilnehmern ergab, dass Personen mit reduziertem oder gestörtem Schlaf im Durchschnitt täglich 385 Kilokalorien mehr zu sich nahmen, ohne dass sich am Folgetag ein entsprechender Anstieg ihres Energieverbrauchs zeigte[10]. Obwohl die zusätzliche Kalorienaufnahme auf den ersten Blick moderat erscheint, entspricht sie in etwa der Energiezufuhr von einem Buttercroissant mit Konfitüre oder einem großen Schokoriegel. Diese scheinbar geringe tägliche Kalorienmenge kann über längere Zeiträume hinweg signifikante Konsequenzen haben. Bereits nach drei Monaten summiert sich ein kalorischer Überschuss von circa 4,5 Kilogramm an zusätzlicher Körpermasse, verglichen mit einer Person, deren Schlaf als ausreichend erholsam gilt.
Besonders problematisch ist, dass eine Gewichtssteigerung in der Regel schleichend und anfänglich unbemerkt vonstattengeht. Das Zusatzgewicht macht sich auf der Körperwaage häufig erst dann bemerkbar, wenn sich bereits ein selbstverstärkender Mechanismus etabliert hat, bei dem Übergewicht und Schlafapnoe einander wechselseitig begünstigen. Dies erschwert nicht nur die Gewichtskontrolle, sondern beeinträchtigt auch den langfristigen Erfolg der Schlafapnoe Therapie.
Nachhaltige Gewichtsreduktion durch ursächliche Behandlung
Die vorliegenden Erkenntnisse verdeutlichen, dass die obstruktive Schlafapnoe das tägliche Essverhalten maßgeblich beeinflusst. Eine symptomatische Behandlung, wie etwa die nächtliche Überdrucktherapie (CPAP), führt in der Regel nicht zur Auflösung hormoneller Fehlregulationen und der daraus resultierenden erhöhten Kalorienaufnahme[11]. Unter diesen Bedingungen gestaltet sich eine nachhaltige Gewichtsreduktion als äußerst schwierig, da der gestörte Schlaf weiterhin Heißhunger, impulsives Essverhalten und eine gesteigerte Energiezufuhr begünstigt.
Eine ursachenbezogene Therapie, die die anatomische Verengung der oberen Atemwege beseitigt, kann diesen Teufelskreis durchbrechen. Die Wiederherstellung einer ungestörten Atmung stabilisiert auch die hormonelle Appetitregulation[12]. Dadurch fällt es Betroffenen wesentlich leichter, ein gesundes Ernährungsverhalten zu etablieren. In den meisten Fällen manifestiert sich nicht nur eine verbesserte Schlafqualität, sondern es tritt auch eine allmähliche und vor allem nachhaltige Reduktion des Körpergewichts ein. Die kausale Therapie der Schlafapnoe bildet somit die Grundlage für eine langfristig erfolgreiche Gewichtskontrolle.
Anmerkungen:
[1] Universität Lübeck: [PDF] „Einfluss von Tiefschlafsuppression auf Appetit- und Körpergewichtsregulation bei Männern“, epub.uni-luebeck.de / ediss1397
[2] PLoS Medicine, Volume 1, Ausgabe 3, Dez. 2004, e62: Shahrad Taheri, Ling Lin, Diane Austin, Terry Young, Emmanuel Mignot: „Short sleep duration is associated with reduced leptin, elevated ghrelin, and increased body mass index“
[3] Annals of Internal Medicine, Volume 141, Ausgabe 11, Dez. 2004, S. 846-850: Karine Spiegel, Esra Tasali, Plamen Penev, Eve Van Cauter: „Brief communication: Sleep curtailment in healthy young men is associated with decreased leptin levels, elevated ghrelin levels, and increased hunger and appetite“
[4] The Egyptian Journal of Chest Diseases and Tuberculosis, Volume 68, Ausgabe 4, Dez. 2019, S. 567-574: Gharraf Heba S., AlHadidy Abeer, AlNehr Ibrahim: „Study of leptin and ghrelin serum levels in patients with obstructive sleep apnea“
[5] Endocrine, Volume 41, Ausgabe 1, Feb. 2012, S. 76-81: Michelle Duong, Jessica I. Cohen, Antonio Convit: „High cortisol levels are associated with low quality food choice in type 2 diabetes“
[6] Universität Wien: [PDF] „Einfluss von visuellen Essensreizen auf den hedonischen Hunger“, https://phaidra.univie.ac.at/detail/o:1310989
[7] Journal of Neuroscience, Volume 39, Ausgabe 5, Jan. 2019, S. 888-899: Julia S. Rihm, Mareike M. Menz, Heidrun Schultz, Luca Bruder, Leonhard Schilbach, Sebastian M. Schmid, Jan Peters: „Sleep Deprivation Selectively Upregulates an Amygdala-Hypothalamic Circuit Involved in Food Reward“
[8] Archives of General Psychiatry, Volume 68, Ausgabe 8, Aug. 2011, S. 808-816: Ashley N. Gearhardt, Sonja Yokum, Patrick T. Orr, Eric Stice, William R. Corbin, Kelly D. Brownell: „Neural correlates of food addiction“
[9] Cell Metabolism, Volume 34, Ausgabe 10, Okt. 2022, S. 1486-1498: Nina Vujović, Matthew J. Piron, Jingyi Qian, Sarah L. Chellappa, Arlet Nedeltcheva, David Barr, Su Wei Heng, Kayla Kerlin, Suhina Srivastav, Wei Wang, Brent Shoji, Marta Garaulet, Matthew J. Brady, Frank A. J. L. Scheer: „Late isocaloric eating increases hunger, decreases energy expenditure, and modifies metabolic pathways in adults with overweight and obesity“
[10] European Journal of Clinical Nutrition, Volume 71, Ausgabe 5, Mai 2017, S. 614-624: H. K. Al Khatib, S. V. Harding, J. Darzi, G. K. Pot: „The effects of partial sleep deprivation on energy balance: a systematic review and meta-analysis“
[11] European Respiratory Journal, Volume 22, Ausgabe 2, Aug. 2003, S. 251-257: I. A. Harsch, P. C. Konturek, C. Koebnick, P. P. Kuehnlein, F. S. Fuchs, S. Pour Schahin, G. H. Wiest, E. G. Hahn, T. Lohmann, J. H. Ficker: „Leptin and ghrelin levels in patients with obstructive sleep apnoea: effect of CPAP treatment“
[12] Sleep, Volume 35, Ausgabe 11, Nov. 2012, S. 1503-1510: Marie-Pierre St-Onge, Majella O’Keeffe, Amy L. Roberts, Arindam RoyChoudhury, Blandine Laferrère: „Short sleep duration, glucose dysregulation and hormonal regulation of appetite in men and women“