Das Pickwick-Syndrom stellt eine seltene, jedoch gravierende Schlaf-Wach-Störung dar, die eng mit obstruktiver Schlafapnoe sowie Adipositas (Fettleibigkeit) verbunden ist[1]. Die nächtlichen Atemaussetzer und der wiederkehrende Sauerstoffmangel sind charakteristisch für diese Erkrankung und beeinträchtigen die Schlafqualität erheblich. Zudem stellen sie eine Belastung für die Herz-Kreislauf-Gesundheit und den Stoffwechsel dar. Der Begriff Pickwick-Syndrom wurde von Charles Dickens in seinem Roman „Die Pickwickier“ geprägt, in dem der dauermüde Kutscher namens „Little Fat Joe“ beschrieben wird, der typische Symptome dieser Krankheit zeigt. Im Folgenden werden die Ursachen und gesundheitlichen Konsequenzen des Syndroms erörtert sowie die verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten vorgestellt.
Obesitas und Hypoventilation: Kernsymptome des Pickwick-Syndroms
Die korrekte medizinische Bezeichnung für das Pickwick-Syndrom lautet „Obesitas-Hypoventilations-Syndrom“ (OHS). Der Name OHS beschreibt bereits die Hauptsymptomatik, die sich aus den beiden Begriffen „Obesitas“ (Fettleibigkeit) und „Hypoventilation“ (verminderte Atmung) zusammensetzt. Die starke Fettleibigkeit der Betroffenen schränkt ihre Atemfunktion deutlich ein, was zu einer unzureichenden Belüftung der Lungen führt. Die damit einhergehende, verminderte Sauerstoffaufnahme sowie die gleichzeitig unzureichende Abatmung von Kohlendioxid prägen das Syndrom und stellen das zentrale Gesundheitsrisiko dar.
Einfluss von Adipositas auf die Atem- und Lungenfunktion
Die Pathophysiologie des Pickwick-Syndroms steht in engem Zusammenhang mit den Auswirkungen der ausgeprägten Fettleibigkeit der Betroffenen. Die beträchtlichen Fetteinlagerungen in der Zunge und im Rachen verengen die oberen Atemwege, wodurch insbesondere während des Schlafes wiederkehrende Atemstörungen wie Atemaussetzer und Atemflusslimitationen auftreten[2]. Bei OHS-Patienten ist daher nahezu durchgängig sehr lautes und unregelmäßiges Schnarchen zu beobachten. Zusätzlich lastet das erhöhte Körpergewicht auf dem Brustraum, wodurch die Ausdehnung der Lunge stark einschränkt wird. Die hohe Gewebemasse, die bei jedem Atemzug bewegt werden muss, erschwert die Atmung zusätzlich. Die Kombination aus verengten Atemwegen und beeinträchtigter Lungenfunktion resultiert in einer sogenannten alveolären Hypoventilation, also einer unzureichenden Belüftung der Lungenbläschen[3].
Die Folgen einer solchen Atemreduktion sind weitreichend: Der Sauerstoffgehalt im Blut sinkt ab (Hypoxie), während sich gleichzeitig Kohlendioxid anreichert (Hyperkapnie). Als Kompensationsreaktion auf die chronische Sauerstoffunterversorgung kann der Körper vermehrt rote Blutkörperchen bilden – ein Zustand, der als Polyglobulie bekannt ist und das Blut verdickt. Diese Veränderungen erhöhen den Druck auf Herz und Gefäße, was zu einem gesteigerten Blutdruck in den Lungengefäßen (pulmonale Hypertonie) und im Körperkreislauf (arterielle Hypertonie) führt. Die daraus resultierende Belastung des Herz-Kreislauf-Systems vergrößert das Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse, wie beispielsweise einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall[4].
Vielschichtige Gesundheitsrisiken durch OHS
Typische Symptome des Obesitas-Hypoventilations-Syndroms umfassen neben lautem Schnarchen und Schlafstörungen eine stark verminderte Tagesenergie und anhaltende Müdigkeit, die oft mit Kopfschmerzen, Konzentrationsproblemen und einem allgemein niedrigen Leistungsniveau einhergehen. Viele Betroffene verspüren zudem tagsüber eine ständige Luftnot, selbst bei leichten Alltagsaktivitäten, was die körperliche Belastbarkeit und den Bewegungsradius deutlich einschränkt. Des Weiteren können psychische Begleiterscheinungen wie depressive Verstimmungen und sozialer Rückzug beobachtet werden, welche die emotionale Belastung zusätzlich verstärken.
Die gesundheitlichen Konsequenzen von OHS sind gravierend und reichen weit über das Symptom der Atemeinschränkung hinaus. Die andauernde Unterversorgung mit Sauerstoff und der gleichzeitige Anstieg des Kohlendioxidgehalts im Blut belasten die Organe erheblich, insbesondere Herz und Lunge. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit für Folgeerkrankungen wie Herzinsuffizienz und chronische Lungenschäden. Auch der Metabolismus (Stoffwechsel) wird nachhaltig beeinträchtigt: OHS begünstigt die Entwicklung von Typ 2 Diabetes und Fettstoffwechselstörungen, was die Gefährdung durch arteriosklerotische Gefäßveränderungen erhöht[5]. Die Kombination aus körperlichen und psychischen Einschränkungen hat zur Folge, dass die Lebensqualität der Betroffenen stark eingeschränkt ist, da selbst alltägliche Aufgaben zu großen Herausforderungen werden. OHS ist eine ernsthafte Erkrankung mit hoher Letalität, die unbehandelt die Lebenserwartung der Betroffenen signifikant verkürzt.
Gewichtsreduktion: Der Schlüssel zur Behandlung von OHS
Die nachhaltige Gewichtsreduzierung ist das zentrale Element in der Therapie des Obesitas-Hypoventilations-Syndroms. Da die ausgeprägte Fettleibigkeit der Betroffenen die Hauptursache für Atemstörungen und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken darstellt, ist eine langfristige Reduktion des Körpergewichts essenziell, um die Atemfunktion zu verbessern und die Belastung für Herz und Lunge zu verringern. Als besonders wirksam hat sich eine Ernährungsumstellung erwiesen, idealerweise in Kombination mit einer fachlichen Betreuung durch Ernährungsberater oder Fachärzte.
Empfohlen wird vor allem die Umstellung auf eine mediterrane Diät. Diese Ernährungsweise ist gekennzeichnet durch einen hohen Anteil an frischem Gemüse, Obst, Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten sowie gesunden Fetten wie beispielsweise Olivenöl und Nüssen. Fisch, mageres Fleisch und Milchprodukte werden lediglich in moderaten Mengen konsumiert, während Zucker und stark verarbeitete Lebensmittel weitestgehend vermieden werden. Die mediterrane Diät erweist sich nicht nur als hilfreich bei der Gewichtsabnahme, sondern zeigt zudem positive Effekte auf den Stoffwechsel, die Herzgesundheit und die Verminderung von Entzündungsprozessen im Körper[6].
Zusätzlich bietet sich das Konzept des intermittierenden Fastens an, um eine nachhaltige Kalorienbegrenzung zu gewährleisten. Das Ernährungsmuster sieht einen Wechsel zwischen Essens- und Fastenphasen vor, beispielsweise im 16:8-Modell. Hierbei wird über einen Zeitraum von 16 Stunden auf die Zufuhr von Kalorien verzichtet, während in den verbleibenden acht Stunden eine ausgewogene Ernährung im Fokus steht. Studien belegen, dass das intermittierende Fasten nicht nur den Gewichtsverlust fördert, sondern auch die Insulinempfindlichkeit verbessert und somit das Risiko für die Entwicklung von Diabetes Typ 2 senkt – ein zentraler Vorteil für OHS-Betroffene, die häufig unter Stoffwechselstörungen leiden[7,8]. Für nachhaltige Ergebnisse ist es entscheidend, die Ernährungsumstellung individuell anzupassen und insbesondere langfristig und konsequent beizubehalten.
Bariatrische Eingriffe als letzte Option
Sollten OHS-Patienten trotz einer konsequenten Ernährungsumstellung keine ausreichende Gewichtsreduktion erzielen, kann die Durchführung bariatrischer Eingriffe wie der Magenbypass oder der Schlauchmagen in Erwägung gezogen werden. Diese stellen zwar invasive, jedoch äußerst effektive Alternativen dar. Beim Magenbypass wird der Magen erheblich verkleinert und ein Teil des Dünndarms umgangen, wodurch sowohl die Nahrungsaufnahme als auch die Kalorienverwertung stark eingeschränkt werden. Der Schlauchmagen reduziert das Magenvolumen auf ein Minimum, sodass bereits kleine Nahrungsmengen ein intensives Sättigungsgefühl auslösen. Beide chirurgischen Eingriffe führen dazu, dass Patienten nicht nur weniger Nahrung aufnehmen können, sondern gleichzeitig auch schneller satt werden. Darüber hinaus bewirken sie hormonelle Veränderungen, welche das Hungergefühl deutlich mindern. Es besteht daher eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese Mechanismen zu einer signifikanten und dauerhaften Gewichtsverringerung beitragen[9].
CPAP-Therapie: Ein unverzichtbarer Bestandteil der OHS-Behandlung
Wie bereits dargelegt, leiden OHS-Patienten nahezu ausnahmslos an obstruktiver Schlafapnoe. Daher wird ihnen standardmäßig eine nächtliche Überdruckbeatmung, die sogenannte CPAP-Therapie, verordnet. Diese Behandlungsform hält die oberen Atemwege während des Schlafs offen, unterdrückt Atemstörungen und verbessert die Sauerstoffversorgung. In besonders schweren Fällen, in denen die nächtliche CPAP-Behandlung allein nicht ausreicht, kommt eine nicht-invasive Heimbeatmung zum Einsatz. Die maschinelle Unterstützung der Atmung erfolgt mittels einer Beatmungsmaske, wodurch eine kontinuierliche Lungenbelüftung sowohl nachts als auch tagsüber gewährleistet wird. Allerdings geht die Heimbeatmung mit einer drastischen Einschränkung der Lebensqualität einher, da sie den Alltag der Betroffenen in außerordentlichem Maße einschränkt.
Um den Therapieerfolg zu sichern, ist es für OHS-Patienten unerlässlich, vollständig auf Alkohol und Schlafmittel zu verzichten. Der Konsum dieser Substanzen schwächt die Atemmuskulatur zusätzlich und kann die Wirksamkeit der CPAP-Therapie erheblich einschränken. Ein solcher Verzicht trägt wesentlich zur Förderung der Atemfunktion und zur Vermeidung weiterer Komplikationen bei.
Ohne Gewichtsverlust keine Senkung der Letalität
Das Pickwick-Syndrom ist eine lebensbedrohliche Folgeerkrankung extremer Adipositas, deren unbehandelter Verlauf aufgrund schwerwiegender kardiovaskulärer und metabolischer Auswirkungen häufig tödlich endet[10]. Der Schlüssel zur Verbesserung der Prognose liegt in einer nachhaltigen Gewichtsreduktion, welche die Atemfunktion stabilisiert, die Belastung der Organe reduziert und die Lebensqualität der Betroffenen grundlegend verbessert. Daher ist eine frühzeitige Diagnose und eine konsequente Therapie von essenzieller Bedeutung, um die ernsthaften Gesundheitsfolgen von OHS abzumildern und die Lebenserwartung signifikant zu erhöhen.
Anmerkungen:
[1] Cleveland Clinic: https://my.clevelandclinic.org/health/diseases/24393-obesity-hypoventilation-syndrome
[2] American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, Volume 201, Ausgabe 6, März 2020, S. 718-727: Stephen H. Wang, Brendan T. Keenan, Andrew Wiemken, Yinyin Zang, Bethany Staley, David B. Sarwer, Drew A. Torigian, Noel Williams, Allan I. Pack, Richard J. Schwab: „Effect of Weight Loss on Upper Airway Anatomy and the Apnea-Hypopnea Index. The Importance of Tongue Fat“
[3] American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, Volume 183, Ausgabe 3, Feb. 2011, S. 292-298: Amanda J. Piper, Ronald R. Grunstein: „Obesity hypoventilation syndrome: mechanisms and management“
[4] Hypertension, Volume 75, Ausgabe 2, Feb. 2020, S. 285-292: Flávio D. Fuchs, Paul K. Whelton: „High Blood Pressure and Cardiovascular Disease“
[5] Intensive Care Medicine, Volume 45, Ausgabe 6, März 2019, S. 757-769: Miet Schetz, Audrey De Jong, Adam M. Deane, Wilfried Druml, Pleun Hemelaar, Paolo Pelosi, Peter Pickkers, Annika Reintam-Blaser, Jason Roberts, Yasser Sakr, Samir Jaber: „Obesity in the critically ill: a narrative review“
[6] International Journal of Molecular Sciences, Volume 20, Ausgabe 19, Sept. 2019, 4716: Antonino Tuttolomondo, Irene Simonetta, Mario Daidone, Alba Mogavero, Antonella Ortello, Antonio Pinto: „Metabolic and Vascular Effect of the Mediterranean Diet“
[7] Nutrients, Volume 14, Ausgabe 3, Jan. 2022: Izzah Vasim, Chaudry N. Majeed, Mark D. DeBoer: „Intermittent Fasting and Metabolic Health“
[8] Nutrients, Volume 13, Ausgabe 9, Sept. 2021, 3179: María Morales-Suarez-Varela, Ester Collado Sánchez, Isabel Peraita-Costa, Agustín Llopis-Morales, José M. Soriano: „Intermittent Fasting and the Possible Benefits in Obesity, Diabetes, and Multiple Sclerosis: A Systematic Review of Randomized Clinical Trials“
[9] Obesity Surgery, Volume 29, Ausgabe 1, Jan. 2019, S. 3-14: Paul E. O’Brien, Annemarie Hindle, Leah Brennan, Stewart Skinner, Paul Burton, Andrew Smith, Gary Crosthwaite, Wendy Brown: „Long-Term Outcomes After Bariatric Surgery: a Systematic Review and Meta-analysis of Weight Loss at 10 or More Years for All Bariatric Procedures and a Single-Centre Review of 20-Year Outcomes After Adjustable Gastric Banding“
[10] PLOS ONE, Volume 10, Ausgabe 2, Feb. 2015, e0117808: Olalla Castro-Añón, Luis A. Pérez de Llano, Sandra De la Fuente Sánchez, Rafael Golpe, Lidia Méndez Marote, Julián Castro-Castro, Arturo González Quintela: „Obesity-hypoventilation syndrome: increased risk of death over sleep apnea syndrome“