In einer deutschlandweiten Statista-Umfrage aus dem Jahr 2022, an der über 2000 Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren teilnahmen, offenbarte sich ein besorgniserregendes Bild: Etwa 43 Prozent der Befragten berichteten von Schlafstörungen innerhalb der letzten 12 Monate[1]. Die Probleme reichten von Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen bis hin zu nächtlicher Schlaflosigkeit, was die Qualität ihres Schlafs erheblich beeinträchtigte. In der Folge intensivierten sich die Bemühungen, die Schlafhygiene zu verbessern. Hierbei lag der Fokus auf Verhaltensaspekten wie Bewegung, Stressmanagement und der Etablierung regelmäßiger Schlafgewohnheiten, um einen gesunden und erholsamen Schlaf zu fördern. Deutlich weniger bekannt ist hingegen, dass auch die Ernährung, insbesondere im Zusammenhang mit essentiellen Aminosäuren, einen maßgeblichen Einfluss auf den Schlaf und dessen Qualität ausübt. Der folgende Beitrag widmet sich der Verbindung zwischen der Aminosäure Tryptophan und der Schlafqualität und zeigt auf, wie die gezielte Zufuhr von Tryptophan Schlafstörungen wirkungsvoll mildern kann.
Welche Funktionen erfüllt Tryptophan?
Tryptophan ist eine essenzielle aromatische Aminosäure und stellt ein Schlüsselelement in der menschlichen Ernährung dar. Sie gehört zu den neun Aminosäuren, die der Körper nicht eigenständig produzieren kann und daher über die Nahrung aufnehmen muss. Tryptophan spielt eine entscheidende Rolle als Baustein für Proteine und ist zudem der Vorläufer für wichtige biologische Moleküle. Diese Aminosäure ist in hohem Maße an der Synthese von Proteinen beteiligt, die für den Aufbau und die Reparatur von Geweben unerlässlich sind. Darüber hinaus erfüllt Tryptophan eine Vielzahl von Funktionen im menschlichen Körper. Es dient als Vorstufe für die Biosynthese von Neurotransmittern wie Serotonin, einem Hormon, das nicht nur die Stimmung und das emotionale Gleichgewicht beeinflusst, sondern auch den Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert. Weiterhin ist Tryptophan ein unverzichtbarer Baustein für die Produktion von Melatonin, einem Hormon, das die Schlafqualität steuert und den zirkadianen Rhythmus synchronisiert (siehe Blogbeitrag vom 04.05.2021). Als essentielle Aminosäure ist Tryptophan von grundlegender Relevanz für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen. Seine Bedeutung erstreckt sich weit über die einfache Proteinsynthese hinaus, indem es elementare neurologische Prozesse beeinflusst, die für eine gesunde und erholsame Nachtruhe von grundsätzlicher Bedeutung sind.
Wie eine ausgewogene Ernährung den Schlaf verbessern kann
In zahlreichen Nahrungsmitteln ist Tryptophan in signifikanten Mengen enthalten. Besonders proteinreiche Lebensmittel wie Geflügel, Fisch (speziell Lachs und Thunfisch), Milch-, Soja- und Vollkornprodukte sowie Nüsse und Samen zeichnen sich durch ihren hohen Tryptophangehalt aus. Diese Lebensmittel sind nicht nur äußerst eiweißreich, sondern bilden auch das Fundament einer ausgewogenen Ernährung. Daher ist ein Tryptophanmangel in den Industrieländern nahezu unbekannt. Es wird deutlich, dass die sorgfältige Auswahl der Lebensmittel und eine ausgewogene Ernährung einen unmittelbaren Einfluss auf die Tryptophan-Aufnahme haben und damit auch auf die Produktion von Serotonin und Melatonin. Insbesondere Melatonin verringert die Einschlafdauer und reduziert Durchschlafstörungen, weshalb es auch oft als „Einschlafhilfe“ bezeichnet wird. Interessanterweise leiden trotz einer eiweißreichen Ernährung weite Teile der Bevölkerung unter einem Mangel an Serotonin und/oder Melatonin. Um diese Tatsache verstehen zu können, ist es notwendig, einen genaueren Blick auf die Funktionsweise der Synthetisierung von Serotonin und Melatonin aus Tryptophan zu werfen.
Wie Tryptophan in Serotonin und Melatonin umgewandelt wird
Tryptophan gelangt nach der Zufuhr über die Nahrung in den Blutkreislauf und von dort ins zentrale Nervensystem. Bevor es das Gehirn erreicht, muss es die Blut-Hirn-Schranke überwinden, eine semipermeable Membran, die den Austausch von Substanzen zwischen Blut und Gehirn reguliert. Dabei konkurriert Tryptophan mit anderen Aminosäuren (Valin, Leucin, Isoleucin, Phenylalanin, Tyrosin) um die Aufnahme im Gehirn. Die Überwindung der Blut-Hirn-Schranke ist essenziell, da die eigentliche Umwandlung von Tryptophan zuerst in Serotonin und später in Melatonin im Gehirn stattfindet. Dort wird Tryptophan von speziellen Enzymen in 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) umgewandelt. Hierbei spielt Folsäure, auch bekannt als Vitamin B9, eine entscheidende Rolle. Folsäure unterstützt den Metabolismus von Tryptophan zu 5-HTP und initiiert somit den ersten Schritt im Syntheseweg zur Produktion von Serotonin[2]. Lebensmittel wie grünes Blattgemüse, Hülsenfrüchte oder Vollkornprodukte sind besonders reich an Folsäure und tragen dazu bei, diesen Prozess zu fördern.
Anschließend wird 5-HTP durch das Enzym Aromatische Aminosäure-Decarboxylase (AADC) in Serotonin metabolisiert[3]. Die weitere Verwandlung von Serotonin zu Melatonin erfolgt durch spezialisierte Enzyme in der Zirbeldrüse, einem kleinen endokrinen Organ im Gehirn. Dieser Prozess reagiert besonders sensitiv auf äußere Einflüsse wie Licht, da Serotonin nur bei Dunkelheit in Melatonin umgewandelt wird.
Zusätzlich werden die enzymatischen Umwandlungen auch noch von einigen weiteren Faktoren beeinflusst. Unter ihnen ist Vitamin D besonders relevant. Vitamin D, das oft als Sonnenvitamin bezeichnet wird, ist maßgeblich daran beteiligt, Tryptophan in Serotonin zu verwandeln[4]. Ein Mangel an Vitamin D kann diesen Prozess negativ beeinflussen und zu einem Ungleichgewicht im Serotoninspiegel führen. Sonnenlicht ist die Hauptquelle für Vitamin D, da es zu über 80 Prozent mithilfe von Sonnenlicht in der Haut gebildet wird. In den Wintermonaten leiden jedoch mehr als 80 Prozent der deutschen Bevölkerung an einer unzureichenden Vitamin-D-Versorgung[5]. Es ist daher ratsam, in den sonnenarmen Monaten Vitamin-D-Präparate als Nahrungsergänzung einzunehmen, um einen Mangel zu verhindern und schlussendlich die ausreichende Produktion des Schlafhormons Melatonin sicherzustellen.
Sollte trotz einer eiweißreichen Ernährung eine unzureichende Synthetisierung von Serotonin und Melatonin aus Tryptophan vorliegen, liegt dies überwiegend an einem Mangel an Vitamin D oder Folsäure. Die gezielte Aufnahme der beiden Nährstoffe kann diese Biosynthese unterstützen und somit einen gesunden Schlaf fördern.
Wie lässt sich die Tryptophan-Aufnahme im Gehirn erhöhen?
Um die Konzentration von Tryptophan im Gehirn zu steigern, ist es wichtig dieser Aminosäure das Überwinden der Blut-Hirn-Schranke zu erleichtern. Eine bewährte Methode, um dieses Ziel zu erreichen, ist der Genuss von warmer Milch mit einem Löffel Honig vor dem Zubettgehen. Diese Praxis ist nicht nur eine altbekannte Tradition, sondern basiert auch auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die warme Milch enthält nicht nur Tryptophan aus den Milchproteinen, sondern auch Laktose, ein natürlicher Zucker, der die Insulinausschüttung stimuliert. Zusätzlich verstärken die im Honig enthaltenen Kohlenhydrate die Insulinfreisetzung noch weiter. Insulin begünstigt die Konzentration der meisten Aminosäuren in den Muskeln, nicht jedoch von Tryptophan. Das hat zur Folge, dass Tryptophan an der Blut-Hirn-Schranke weniger mit anderen Aminosäuren um die Aufnahme im Gehirn konkurriert. Tryptophan kann folglich viel einfacher diese Barriere passieren[6]. Der Tryptophanspiegel im Gehirn steigt entsprechend an und ermöglicht wiederum eine erhöhte Produktion von Serotonin und Melatonin, was sich positiv auf die Schlafqualität auswirkt.
Studienergebnisse zur Auswirkung von Tryptophan auf die Schlafqualität
Die Forschung zur schlaffördernden Wirkung von Tryptophan reicht bis in die 1960er-Jahre zurück. Die meisten Studien, die den Zusammenhang zwischen Tryptophan und der Schlafqualität untersuchten, wurden bereits in den 1960er bis 1980er Jahren publiziert. Der weit überwiegende Teil dieser Studien erforschte allerdings nur die Beziehung zwischen Tryptophan-Supplementierung und Schlafdauer. Die optimale Schlafqualität wird jedoch nicht nur von der Schlaflänge bestimmt, sondern auch von weiteren Faktoren wie der Einschlafzeit, der Effizienz des Schlafs und den Wachphasen nach dem Einschlafen. Erst eine Anfang 2022 in der Fachzeitschrift „Nutrition Reviews“ veröffentlichte systematische Überprüfung und Metaanalyse bot einen umfassenden Überblick über die Auswirkungen von Tryptophan-Zusätzen auf die Schlafqualität. Die ausführliche Untersuchung umfasste Daten aus 18 sorgfältig ausgewählten Fachartikeln, wovon vier im Rahmen von Meta-Analysemethoden berücksichtigt wurden.
Die Studie ergab, dass eine Nahrungsergänzung mit Tryptophan, insbesondere in Dosierungen von über einem Gramm pro Tag, die Wachphasen nach dem Einschlafen signifikant reduzieren konnte – im Durchschnitt um über 80 Minuten im Vergleich zu Personen, die keine Tryptophan-Supplemente erhielten. Besonders bemerkenswert war der Unterschied zwischen den Dosierungen: Probanden, die mehr als ein Gramm Tryptophan pro Tag einnahmen, wiesen merklich kürzere Wachphasen nach dem Einschlafen auf (28,91 Minuten) im Vergleich zu denen, die Tryptophan in Dosierungen unter einem Gramm pro Tag bekamen (56,55 Minuten). Die Analyse erbrachte den Nachweis, dass sich Tryptophan-Zusätze, vor allem in Dosierungen von mehr als einem Gramm pro Tag, als vielversprechende Interventionen zur Verbesserung der Schlafkontinuität und -Qualität erweisen können. Die Studienautoren betonten, dass eine Nahrungsergänzung mit Tryptophan nicht nur theoretisches Potenzial hat, sondern vielmehr einen evidenzbasierten Ansatz zur Förderung eines erholsamen Schlafs darstellt.
Schlafhygiene und Ernährung: Ein ganzheitlicher Ansatz
Die Bedeutung einer erholsamen Nachtruhe für die menschliche Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden ist unbestreitbar. Tryptophan spielt dabei eine zentrale Rolle, da es der Ausgangsstoff für die Produktion von Serotonin und Melatonin ist, den beiden Schlüsselhormonen für gesunden Schlaf. Mit einer ausgewogenen und eiweißreichen Ernährung, die reich an Tryptophan und Folsäure ist, kann die Synthese dieser wichtigen Botenstoffe gefördert werden. Die Ernährung ist aber nur ein Teil des Gesamtpuzzles – die Beachtung der sogenannten Schlafhygieneregeln (siehe Blogbeitrag vom 19.03.2019) ist zur Verbesserung der Schlafqualität ebenso entscheidend. Regelmäßige Schlafenszeiten, ein angenehmes Schlafumfeld, die Begrenzung von Bildschirmzeit vor dem Zubettgehen oder die Nutzung von Entspannungstechniken wie Yoga oder Meditation tragen wesentlich dazu bei, Ein- und Durchschlafstörungen zu verringern.
Anmerkungen:
[1] Statista GmbH: https://de.statista.com/infografik/29586/befragte-die-unter-schlafstoerungen-leiden/
[2] International Journal of Tryptophan Research, Volume 2, März 2009, S. 45-60: Dawn M. Richard, Michael A. Dawes, Charles W. Mathias, Ashley Acheson, Nathalie Hill-Kapturczak, Donald M. Dougherty: „L-Tryptophan: Basic Metabolic Functions, Behavioral Research and Therapeutic Indications“
[3] Japanese Journal of Pharmacology, Volume 32, Ausgabe 5, Okt. 1982, S. 803-811: M. K. Rahman, T. Nagatsu, T. Sakurai, S. Hori, M. Abe, M. Matsuda: „Effect of pyridoxal phosphate deficiency on aromatic L-amino acid decarboxylase activity with L-DOPA and L-5-hydroxytryptophan as substrates in rats.“
[4] FASEB Journal, Volume 29, Ausgabe 6, Juni 2015, S. 2207-2222: Rhonda P. Patrick, Bruce N. Ames: „Vitamin D and the omega-3 fatty acids control serotonin synthesis and action, part 2: relevance for ADHD, bipolar disorder, schizophrenia, and impulsive behavior“
[5] Robert-Koch-Institut: Journal of Health Monitoring, 2016 1(2), DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-036: Martina Rabenberg, Gert B. M. Mensink: „Vitamin-D-Status in Deutschland“
[6] Nutrition and Health, Volume 3, Ausgabe 1-2, Jan. 1984, S. 55-67: B. Spring: „Recent research on the behavioral effects of tryptophan and carbohydrate“